Achtung. Achtung. Achtung.
Wir sind umgezogen!

Januar 2021

Das Büro für besondere Maßnahmen ist ab sofort erreichbar auf mojour.de

Nach und nach werden alte Beiträge – ggf. aktualisiert und überarbeitet – dorthin umziehen. Bitte folgen ... :-)

Mittwoch, 27. Juli 2011

sparsam II

besondere maßnahme no. XXIII

ich schäme mich. ich schäme mich so sehr, dass ich diesen text bereits seit zwei wochen vor mir herschiebe. dabei ist er mit verdammt wichtig!


schon schlimm genug, dass eine nicht arbeiten darf bzw. für ihre arbeit nicht angemessen honoriert wird, ihren lebensunterhalt nicht mehr selbständig bestreiten kann, sich irgendwann in hartzIV wiederfindet und von der politischen und medialen öffentlichkeit als sozialschmarotzerin aus der bildungsfernsten schicht bezeichnet wird.

da ich ohnehin nur noch bodensatz der gesellschaft bin, kann ruhig noch einer drauftreten:

nun bin ich auch noch kreditunwürdig!

meine anleihen haben nicht einmal mehr schrottstatus, sind allerunterster ramsch! meine sparbank will mit mir keine geschäfte mehr machen.

das kündigte sich ja bereits anfang des jahres an, als die erbsenzählerische dorfsparbankfilialleiterin mir am telefon einen moralischen vortrag hielt über sinn und zweck von dispokrediten.

vergangene woche gab es die fortsetzung, als an einem sonnigen nachmitag zur besten mittagspausenzeit um halb drei mein telefon klingelte.

es begrüßte mich überschwenglichst oberfreundlich die mir persönlich bekannte und bislang nicht unsympathische schalterangestellte meiner dorfbankfiliale: sie wollte mir gratulieren.

erst war ich etwas verdutzt: gratulieren?! ich konnte mich nicht erinnern, an einem preisausschreiben teilgenommen zu haben.

sie gratulierte mir aber nicht zu irgendeinem hauptgewinn, sondern dazu, dass ich innerhalb eines halben jahres meinen dispokredit bzw. dessen inanspruchnahme um mehr als die hälfte gesenkt hatte. „ich bin richtig stolz auf Sie - und Sie können das auch sein, das ist in der heutigen zeit eine starke leistung!“

so sprach sie von oben herab, als ob ich ein schulmädchen sei, das am weltspartag mit einem vollen sparschwein und stolzem breitwandgrinsen vor ihrem schalter steht.

wie demütigend! ich kenne meine finanzen! ich bin zwar oft am limit, aber dafür zahle ich gebühren - und zwar nicht zu knapp! es ist ja nicht so, dass die sparbank mir irgendwelche almosen gäbe, ganz im gegenteil. meine zinsen zahlen der frau schalterangestellten nicht nur das gehalt, sondern auch ihr schickes geheiztes büro samt altersvorsorge.

sogleich änderte sie den ton und druckste herum: „Sie kriegen ja arbeitslosengeld zwei ....“ richtig. und zwar regelmäßig jeden monat in angemessener höhe. ich bejahte also diese seltsame banker-rhetorik. jeder anderen mit einem ähnlichen einkommen würde sie einen dreifach dimensionierten disporahmen anbiedern.

madame sparbank druckste weiter. ob wir denn jetzt das dispolimit mal allmählich senken könnten?

ich verneinte. wozu? schließlich ist es ihr business, anderen leuten geld zu leihen. an mir verdient sie nicht schlecht: ihre zinsen sind nicht von pappe und haben sich gewaschen. außerdem sieht sie doch, dass ich in der lage bin, meine schulden auch zügig wieder abzuzahlen. dazu hatte sie mir ja eben erst gratuliert!

trotzdem wollte sie mit der sprache nicht so recht heraus. also sagte ich ihr klar aber freundlich meine meinung und dass ich mit meinem dispo in der bisherigen höhe sehr zufrieden sei.

dass ich seit fast zehn jahren ihre kundin bin mit ebendiesem dispo, beeindruckte sie nicht: „damals waren wohl die regeln noch nicht so streng.“ welche regeln, wollte sie mir nicht sagen. ich nehme an, dass der unterschied darin liegt, dass man ein beliebiges einkommen pfänden kann, arbeitslosengeld2 aber nicht.

ich erzählte ihr von dem neujahrstelefonat mit ihrer vorgesetzten, dass das ja wohl alles andere als professionell gelaufen war. nebenbei: ich fand das überhaupt nicht gut, dass auch sie mich nun am telefon überfiel, um so heikle dinge wie meinen dispokredit zu besprechen.

frau sparbank: „ja, ich sehe Sie ja gar nicht mehr in der filiale!“ - wozu? ich habe ein onlinekonto, da brauche ich den schalter nicht. „außerdem, so am telefon, da hört doch wenigstens keiner mit. oder wäre es Ihnen lieber, wir besprechen das am schalter, wo alle zuhören können?“

wie bitte?! gibt es kein bankgeheimnis?! habt ihr keinen besprechungsraum?! könnt ihr keinen termin vereinbaren?! ich war nicht mehr nur genervt, sondern wurde allmählich grantig.

ich erzählte ihr weiter, dass ich nach der für mich sehr negativen erfahrung mit der filialleiterin anfang des jahres beschlossen hatte, meinen dispo abzuzahlen und dann zu einer anderen bank zu wechseln. das beeindruckte sie nicht:

„ja so ist das nun aber nicht gemeint, dass wir sie als kundin nicht mehr wollen.“ - aha. und?! „aber den dispo müsste „man“ jetzt trotzdem mal allmahlich senken.“ sie versuchte also weiter, mir eine streichung meines dispos unterzujubeln – aber ich wollte nicht. nicht freiwillig.

frau sparbank redete immer noch keinen klartext. also fragte ich sie auf den kopf zu:

„habe ich das richtig herausgehört, dass sie anweisung haben von ihren vorgesetzten, mir den dispo zu kappen und dass sie hier telefonisch mit mir ein erfolgserlebnis brauchen, weil sie sonst selbst großen ärger kriegen?!“

es kam zwar kein klares ja, aber sie druckste weiter und widersprach mir nicht. ich war inzwischen nicht nur sehr gedemütigt, sondern auch sehr wütend – denn ich kann schleimige halbwahrheiten nicht ausstehen:

da hatte also die fiese dorfsparbankfilialleiterin ihre nette angestellte vorgeschickt mit dem auftrag, mir druck zu machen. ich tat ihr den gefallen nicht, damit freudig und demütig dankend einverstanden zu sein. ich weiß, dass sie weiß, dass eine sofortige kündigung meines dispos zwecklos ist, weil sie mein alg2 nicht pfänden darf.

aber ich ließ mich schließlich darauf ein. wir vereinbarten eine senkung des disporahmens um dreißig prozent. ihr zuliebe. damit sie nicht meinetwegen ärger kriegt. das sagte ich ihr genau so.

um mal tacheles zu reden: es geht um 1400 euro disporahmen. derzeit stehe ich da noch mit 600 in den miesen. also echte peanuts! aber für mich sind die wichtig. wer wenig geld hat, kommt schneller mal in die bredouille, wenn es überschneidungen gibt.

nun gut. es ist wie es ist. ich werde dieser 'besonderen behandlung' nicht nur mit einer, sondern gleich mit zwei besonderen maßnahmen begegnen:

nach einer anderen bank habe ich mich schon umgesehen: ich mache mit bei der aktion krötenwanderung von attac. das wurde sowieso höchste zeit.

da werde ich zwar zunächst keinen dispo kriegen, den muss ich erst auslösen. aber egal. dafür darf dann eine ethisch-grüne bank mit meinen kleinen pfunden wuchern.

gleichzeitig habe ich mich beteiligt am aktuellen aufruf der stiftung warentest: der Bundesverband der Verbraucherzentralen sucht menschen für eine musterklage gegen überhöhte dispozinsen. meine sparbank steht da auf der liste. und ich bin der meinung, dass ich in den letzten jahren eindeutig zu viele zinsen bezahlt habe. die verbraucherzentrale sieht das genau so.


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Mittwoch, 13. Juli 2011

spießige geranien?

kurze maßnahme no. 23

hier in meiner südwestdeutschen wahlheimat fallen mir jedes jahr im sommer die vielen geranien auf den balkonen und vor den fenstern ins auge. egal, ob ich in meinem kleinen winzerdorf oder sonstewo unterwegs bin.

gasse in burkheim am kaiserstuhl

nicht, dass ich in meiner westdeutschen jugend oder später in berlin keine geranien gekannt hätte. mein auge freut sich immer sehr über die bunten farbtupfer im deutschgrauen einerlei.

aber ständig habe ich die stimme eines längst verflossenen verliebten im ohr, der einmal sagte: „geranien sind spießig. geh blooß nicht nach süddeutschland. da hängen tonnenweise geranien von den balkonen!“

also freut sich mein auge ein bißchen weniger. leider. denn eigentlich sind ja nicht die blumen spießig, sondern die menschen, die hinter diesen blumenkästen leben. angeblich. und mit spießigen leuten will ich lieber nichts zu tun haben. da bin ich wie mein alter freund.

aber meinen südwesten mag ich doch. die – meist – freundlichen bewohner mag ich auch. sie wehren sich gegen kernkraftwerke und gegen laute eisenbahnstrecken. da sind wir einer meinung.

im grunde mag ich auch geranien. ich hätte sogar selbst welche, wenn sie denn auf meinem schattenbalkon gedeihen würden. alles habe ich versucht, aber es ist zwecklos: das vorgezogene dach und der große blauglockenbaum vor dem südfenster lassen im sommer kaum licht durch. ich sehe hier eine pflanze nach der anderen eingehen. nicht einmal nachtschattengewächse wollen hier gedeihen.

„geranien stinken wie nasse türklinken. kauf die blooß nicht!“ hatte der berliner freund mir meine balkonbepflanzung madig gemacht. ehrlich gesagt, ich weiß bis heute nicht, wie nasse türklinken stinken. damals habe ich trotzdem ein paar geranien gekauft. weil sie fast von alleine wachsen und so schön bunt sind. außerdem schützen sie mit ihrem geruch meine wohnung vor mücken - und damit vor allem mich!

aber spießig wollte ich deswegen nicht geschimpft werden. wer will das schon? nicht mal spießer wollen das. aber lässt man deswegen seine geranien vertrocknen? keineswegs. die können doch nichts dafür!

statt dessen frage ich mich, woran mein freund die gesinnung der leute im winter erkennen will, wenn die geranien von den balkonen verschwunden sind.


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Donnerstag, 7. Juli 2011

2 gebloggerte jahre

das büro für besondere maßnahmen feiert geburtstag. wir werden zwar erst zwei - aber für eine besondere maßnahme ist das schon ganz schön lebenslang!

rosenduft: compassion - design: mo jour

seit zwei jahren lasse ich euch teilhaben an den besonderen maßnahmen, mit denen ich die besonderen aufgaben meines lebens, meines alltags bewältige. anfangs kamen sie ungefähr wöchentlich, und ich habe sie nummeriert. irgendwann habe ich – zahlenmäßig – den überblick verloren.

eine zeitlang gab es sogar kurze maßnahmen. kleine pausenfüller, weil es nur so aus mir heraussprudelte. die kommen vielleicht auch irgendwann wieder. derzeit sprudelt es bei mir nicht so dolle, aus gründen.

als ob's geplant wäre wie ein geburtstagsgeschenk vom allmächtigen server, zeigt mir meine statistik seit ein paar tagen genau hundert regelmäßige leserInnen an. schick! ich weiß, dass andere über diese zahl von oben herab lächeln werden. für mich aber ist das echt viel.

schließlich ist das büro für besondere maßnahmen ein nischenprodukt. hier gibt es im allgemeinen nix zu gewinnen (ausnahmen zersetzen die regel). ich reite nicht auf mainstreamwellen. zeitgeschehen findet bei mir fast nicht statt. das hier ist ganz eigen, und ich freue mich immer noch über jeden einzelnen klick, jeden tag aufs neue. danke euch allen!

natürlich nehme ich es so nebenbei sehr gerne mit, dass ich nun von der gamma-bloggerin zur beta-bloggerin aufgestiegen bin. fürs alpha-bloggen brauche ich mindestens tausend klicks am tag. also haltet euch ran!

wer diese blogger-schubladisierung erfunden hat, ist mir nicht bekannt. irgendwer braucht halt kategorien. so eine einordnung lehne ich im grunde kategorisch ab. das ist wie mit der sogenannten ersten, zweiten und dritten welt. die nummer sagt gar nichts - weder über die qualität der regierungen noch über das wohlbefinden der einzelnen menschen. es hilft nur denen da oben, ihr gewissen zu beruhigen, weil sie sich dann besser fühlen können, wenn sie in der teuersten etage wohnen.

ob ich nun zwölf leserInnen habe oder zwanzigtausend – das sagt über die qualität meiner inhalte erst mal gar nichts. vielleicht gibt es aufschluss über meine marketing-qualitäten (ausbaufähig - hilfe!).

mehr klicks ließen auch nicht unbedingt den schluss zu, dass sich mehr menschen wirklich für meine inhalte interessieren. ich könnte ja auch ständig nur über gewinnspiele schreiben; ich könnte so tun, als ob ich mehrmals täglich millionen verlose ... und hätte millionen leserInnen!

okay okay, ich werde darüber nachdenken! angesichts meiner prekären lage und als als besondere maßnahme wäre so ein geschäftsmodell vielleicht durchaus einen versuch wert. dann lebe ich von werbung, sms-gebühren und teuren 190er-nummern. zeit und kraft für inhalte wäre dann wohl keine mehr.

mit dem gewinnspiel* fange ich aber probeweise gleich mal an, schließlich habe ich einen grund zu feiern, das getränk dazu ist auch vorhanden und ihr seid alle herzlich eingeladen:

meine besondere maßnahme zum zweiten blog-geburtstag ist ein kleiner wettbewerb!

ich suche die „besonderste maßnahme 2011“. zu gewinnen gibt es unter anderem eine flasche champagner** – und ich freue mich auf viele viele beiträge!

außerdem habe ich ganz wunderschöne notizblögge (note-blogs) erfunden (siehe foto) und mit ganz viel liebe selbst gefummelt, innendrin ist feinstes cremegelbes umweltfreundliches TCF-papier! die gibt es ebenfalls zu gewinnen!  darauf könnt ihr dann eure eigenen besonderen maßnahmen allerbestens festhalten.

unterdessen geht es hier weiter mit meiner "milden wilden mischung". das habe ich von anfang an versprochen, und daran ändert sich nichts.


*ps.
sponsorInnen für das blog sind weiterhin zahlreich willkommen! sonst läuft das mit dem gewinnspiel verkehrt und ich gewinne mal wieder nix, sondern habe nur ausgaben ....

**pps.
falls der/die gewinnerIn no 1 keinen champagner mag [das kenn' ich ;-)] gibt es etwas anderes. in diesem fall geht die flasch' an no. 2



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Montag, 4. Juli 2011

suchtgedächtnis

„paket vom optiker!“ der postbote sang es schon im treppenhaus und kriegte sich gar nicht mehr ein: „paket vom optiker!“ strahlend überreichte er mir den schmalen karton. als ob er den inhalt bestens kannte. ich hingegen war total überrascht.

„ein paket vom optiker?“ dachte ich. „komisch. die brille habe ich doch längst abgeholt. die wäre auch nicht so groß und so schwer.“ ich trug sie auf der nase, dreizehn gramm leicht.

langsam ging ich die stufen zu meiner wohnung hoch, betrachtete das paket von allen seiten. „hab' ich etwa was gewonnen?! na, das kann ja heiter werden.“



dann erinnerte ich mich, dass ich mich über die neue brille beschwert hatte. aus optischen gründen. wenn ich damit vor dem pc sitze, ist es eine verschwommene qual statt scharfsichtiger klarheit. als entschuldigung hatte man mir ein kleines präsent versprochen.

also eine entschuldigung sollte in meinem paket sein. quadratisch. länglich. schwer. zerbrechlich. ich hatte keine ahnung. wirklich nicht. ich rätselte: „hoffentlich ist das nicht irgendeine häßliche blumenvase in brillenform ….“ - bei meinem glück mit geschenkten gäulen ein durchaus berechtiger gedanke.

wieder in der wohnung, machte ich mir erst einmal einen kaffee. das ist so ein altes magisches denken von mir. je länger es mir gelingt, meine neugier im zaum zu halten und geduldig zu sein, umso besser wird der inhalt von briefen und paketen. da bin ich mir sicher! zumindest wird er weniger schlimm.

während der kaffee sich machte, legte ich mein altes päckchen- und brieföffnermesser schon mal zurecht. nach dem ersten schluck milchkaffee – aaaah! noch einmal tief luft holen und dann ran an die verpackung. ich liebe geschenke und war voller vorfreude!

ihr seht, was drin war im karton: eine flasche champagner. veuve emille brut. nicht gerade der allerteuerste, aber ein solides gesöff.

shice.

es hätte doch echt mal ein geschenk sein können, über das ich mich richtig freue und das ich auch behalten darf. statt dessen schickt mir der optiker die tödliche versuchung - und das auch noch in zeiten allerdünnster haut.

ich hätte den champagner gerne getrunken. sekt und champagner habe ich früher sehr geliebt. weil der nicht betrunken macht (dachte ich), sondern leicht und heiter, ein bißchen 'kieksig'. auch nach fast zwölf alkoholfreien jahren weiß ich noch genau, wie lecker das schmeckt. und wie schön der kribbelt, nicht nur in meinem bauch. ooh ja!

nur zu gern würde ich mir wieder mal die kante geben, ferien haben zumindest im kopf und den ganzen ollen lebenskokolores einfach für eine weile vergessen dürfen.

aber von sucht gibt es – genauso wie von erwerbslosigkeit - keinen urlaub. wenn ich jetzt wieder anfange, wäre es vorbei mit meiner würde, der anfang vom ende.

es würde nicht bleiben bei dem einen glas, der einen flasche. selbst, wenn ich es noch so wollte. eine zeit lang würde es vielleicht gehen. aber dann würde ich mehr wollen. viel mehr. so viel, dass ich ratzfatz wieder auf meinem damaligen level wäre von mindestens einer flasche wein am tag und darüber hinaus.

das nennt man suchtgedächtnis. das suchtgedächtnis ist ein ziemlich komplexer vorgang. es hat nichts zu tun mit 'charakterschwäche', wenn eineR nicht mehr aufhören kann nach dem ersten glas.

der körper will mehr, nicht die psyche. das suchtgedächtnis ist eingebrannt in den synapsen und sonstewo, quasi unlöschbar auf meiner internen festplatte. nicht bloß im arbeitsspeicher. auch kein fehler im betriebssystem, der mit einem flotten update dauerhaft zu beheben wäre.

nix da. es hat mit dem ADH zu tun. und mit dem MEOS.

wissenschaftlich kann ich das nicht erklären, dazu fehlt mir der hintergrund. aber ich kenne die groben zusammenhänge. die vorgänge in meinem körper, die mit alkoholkonsum und alkoholabbau zu tun haben, stelle ich mir vereinfacht vor wie einen netten kleinen zeichentrickfilm.

oder einen film von woody allen: „was sie schon immer über alkohol wissen wollten, aber sich nie zu fragen trauten, weil sie angst haben, ganz damit aufhören zu müssen, sobald sie die antwort kennen.“

der // zeichentrickfilm // geht ungefähr so:

wenn ich alkohol in meinen körper schütte, sind das anfangs sehr nette, lustige gesellen. das macht erst mal spaß. aber je mehr davon und je länger die in meinem körper in den blutbahnen und sonstewo zirkulieren, umso mehr verwandeln sie sich in brutale rabauken. sie grölen und prügeln, die reinsten stoffwechsel-hooligans.

dann schreit das gehirn: „was ist denn das für eine schlägertruppe?! die wollen wir nicht mehr, die sind ja giftig! leber! mach was!“

dann macht die leber was: sie produziert das alkohol-abbau-enzym alkoholdehydrogenase, kurz ADH. der magen hilft ihr dabei.

die zwei sind ein gutes team und putzen schön was weg. die jungs werden zahm, schlafen ihren rausch aus und am nächsten morgen geht es uns wieder gut.

wenn wir jetzt aber noch mehr alkohol-jungs oben reinlassen, dann machen die beiden irgendwann schlapp. so viel arbeit auf einmal, daran sind sie nicht gewöhnt. die folge?

am nächsten tag geht es allen körperteilen dreckig. am schlimmsten ist es im kombinierkästchen: da haben wir einen kater. das ist so ein fieses fettes tier, dass einem schwer auf dem kopf rumhängt, seine krallen in unsere kopfhaut schlägt und den schwanz vor unseren augen hin und her baumeln lässt. ihr wisst schon: verirrte, schlecht gelaunte alkoholjungs randalieren in den blutbahnen.

wenn das passiert, dann kriegt die leber eine krasse diskussion: „ey du faule leber, hasse nich' genug enzym? jetz' gehz uns konkret dreckig und du bisse schuld, du fette assibratze! servier das nich' noch mal, sonz messer isch disch krankenhaus. ischwör...“

die leber kann zwar nix dafür, wenn jemand anders so viel alkohol in ihren körper kippt, aber sie hat keinen bock auf prügel. sie schweigt und merkt sich, wieviel enzym sie produziert hat und dass das zu wenig war. beim nächsten mal produziert sie dann mehr und schneller.

wenn noch mehr alkohol kommt und noch mehr, dann schafft die leber das nicht mehr alleine. auch nicht, wenn der magen ihr hilft. dann delegiert sie einen teil von den saufjungs ans MEOS.

das geht nicht von heute auf morgen. es braucht eine gewisse gewöhnung, viele wiederholungen größerer alkoholischer raufboldclubs, immer wieder, über längere zeit. die leber ist ein toughes stück. bei erwachsenen menschen dauert das ungefähr fünf bis fünfzehn jahre. bei jugendlichen im alter von 15 – 25 jahren dauert es fünf bis fünfzehn monate, und bei kindern unter 15 hat die leber den bogen schon nach fünf bis fünfzehn wochen raus.

dann weiß sie bescheid, wieviel sie selbst produzieren muss und wieviel das MEOS übernehmen muss, so dass alle alkoholjungs unschädlich gemacht werden. weil sie so viel braucht, dass sie sich dann keine pause mehr gönnen darf, wenn sie mal angefangen hat, produziert sie quasi in vorauseilendem gehorsam immer sofort die zuletzt benötigte höchstmenge, sobald auch nur ein tropfen alkohol in ihre nähe kommt.

immer. alkoholjungs im anmarsch? zwei? na dann mal los! gestern waren es am ende achtundzwanzig! MEOS, du auch, mach hinne!

wenn also wieder 28 alks kommen, ist alles paletti, die leber packt ihr pensum, das MEOS übernimmt den überschuss.

ungefähr in dem augenblick, wo die leber ADH nicht mehr nach bedarf, sondern auf vorrat produziert und das MEOS sich einschaltet, übernimmt das suchtgedächtnis die kontrolle. genau das ist der 'point of no return'. die sucht ist ausgebildet, irreversibel.

leider hat nämlich die leber ein besseres gedächtnis als jeder elefant. sie wird den zuletzt erreichten höchststand nie wieder vergessen! nie. nicht nach einer alkoholfreien woche, nicht nach einem monat oder einem jahr, auch nicht nach zehn oder zwanzig abstinenten jahren. dieses leberluder ist nachtragend bis an unser lebensende.

zu dumm. wenn jetzt nämlich ich oder ein anderer alkoholsüchtiger mensch mal wirklich weniger trinken will als die übliche tagesdosis, dann kommt zwar die leber damit klar – aber nicht der rest vom body. weil die leber unaufgefordert ihr höchstpensum produziert, sobald sie einmal angefangen hat. auch wenn wir das ausnahmsweise mal nicht brauchen.

ist aber noch 'unbenutztes' alkoholabbauenzym vorhanden, dann ist die leber 'sauer' und beschwert sich bei den synapsen im hirn: „ey, ihr da oben! wozu mach ich mir denn hier die ganze enzymproduktionsarbeit!? guck mal, so viel übrig, steht hier alles noch rum! das schütte ich jetzt aber nicht weg. schick mehr alkohol!“ und schon ist es vorbei mit meinen guten vorsätzen „heute trinke ich aber mal weniger alkohol.“

tja. netter versuch, mal nur ein glas champagner trinken zu wollen statt wie sonst – oder wie früher - immer die ganze flasche. zu dumm aber auch, dass meine leber sich sofort daran erinnern würde, wieviel sie damals - zu meinem letzten lustigen besäufnis im sommer 1999 - zuletzt gebraucht hat.

// ende des zeichentrickfilms //

für mich ist es eine große erleichterung, um diese inneren stoffwechsel-zusammenhänge der alkoholsucht zu wissen. es hat mir geholfen, von dem seltsamen anspruch wegzukommen, den viele menschen an trockene alkoholikerInnen haben und den diese auch - aus falschem ehrgeiz, unwissen oder scham - an sich selbst stellen:

irgendwann mal wieder 'normal' trinken zu können, wenn ich nur tapfer lange genug abstinent bin. pustekuchen! das wird niemals funktionieren, never ever niemals nicht. eine kurze zeit lang vielleicht. aber über kurz oder lang lässt die eigene leber mir gar keine andere wahl, als wieder so viel zu trinken wie damals am schluss. bloß damit sie ihr zeugs los wird.

deswegen ist es für trockene alkoholiker nicht nur 'leichter', überhaupt keinen alkohol zu trinken als nur ab und zu ein glas. es ist die einzige möglichkeit, um die sucht auf dauer im zaum zu halten.

genau deswegen bleibt auch mein champagner zu. schließlich ist mein name nicht „ame weinhaus“ - sprich: ['eimi 'wainhaus]; falls ich mich jemals wieder auf eine bühne oder vor ein mikrofon stelle, dann sicher weder torkelnd noch lallend. in dieser hinsicht ist Amy Winehouse kein vorbild für mich. aber ihre stimme, hach! ihr song über die rehabilitationsverweigerung ist grandios. absolut typische, nasse suchtdenke!



ich überlege also noch, was mach ich mit der flasch?! es ist ein bißchen gefährlich, die in meiner wohnung stehen zu lassen. ein bißchen sehr gefährlich sogar. man sollte es nicht meinen, aber das ding im karton in der hintersten ecke des büroschranks zwickt mich.

zum wegwerfen ist sie mir zu kostbar – dafür lebe ich zu prekär, und champagner ist schon was besonderes für mich. die witwen-brause einfach nur an die/den erstbesteN zu verschenken, fände ich ein bißchen .... schade drum. bei ebay verkauft es sich schlecht, das habe ich schon recherchiert. eintauschen gegen 7-zwerge-kindersaft geht leider auch nicht.

soll ich eine tombola veranstalten? oder einen wettbewerb? was meint ihr? was mach' ich bloß mit der droge!?


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