ostseebad rerik: hafen |
früher mal, da habe ich bisweilen so viel bierweinsektgrappa getrunken, dass ich alles doppelt sah. am ende war es im täglichen schnitt eine gute flasche wein.
jahrelang hatte ich versucht, weniger zu trinken. jahrelang war mir das nicht gelungen. aber nie war ich ernsthaft auf die idee gekommen, mit dem trinken ganz aufzuhören. wozu auch?
meine trinkmenge von durchschnittlich etwas mehr als einer flasche wein am abend lag schließlich nur knapp über dem, was deutsche weintrinkervereine und bierbrauerverbände als gesundheitsfördernd anpreisen.
ich wollte doch keinen herzinfarkt! also trank ich roten wein.
für die nerven trank ich hefeweizen, wegen des vitamin B - und zwar reichlich ....
zum beruhigen trank ich cognac.
weißen wein trank ich aus prinzip.
sekt sowieso, denn der macht ja nicht besoffen, sondern kieksig (also schon beinahe damenhaft).
all das andere zeug trank ich, weil es mir einfach schmeckte.
jedenfalls war ich eine großmeisterin im verdrängen unangenehmer wahrheiten. ich erzählte zwar allen, dass ich alkoholikerin sei - im grunde aber doch nur, um zu kokettieren. in wirklichkeit war ich nämlich keine, dachte ich: "alkoholiker, das sind die anderen - nicht ich!"
im sommer 1999 stellte ich endgültig fest: „ich trinke zu viel. wenn ich jetzt weiter trinke, dann kippt es, und mein weg geht nur noch abwärts.“ ich lief gefahr, mir alles, was ich so mühsam und hart erarbeitet und aufgebaut hatte, wieder zu zerstören.
noch stimmte die fassade: ich hatte meinen traumjob, den allerliebsten lieblingsmann, die wohnung ein schmuckkästchen, ein funktionierendes auto, zwei ausgesprochen eigensinnige katztiere - und gute leberwerte! ich wollte, dass das so bleibt.
im september 1999 hatte ich vier dienstfreie wochen. zeit genug für eine entgiftung, ohne dass es irgendwem im sender auffallen würde.
für den ersten freien montag vereinbarte ich einen beratungstermin in der ambulanz des entgiftungskrankenhauses meines vertrauens. der berater war mir nicht sonderlich sympathisch, aber er nahm mich ernst. er fragte nach meinen trinkgewohnheiten und sagte, dass für mich eine stationäre entgiftung tatsächlich in frage käme.
insgeheim war ich etwas enttäuscht, hatte ich doch gehofft, dass er mich wieder heimschickt mit den worten, dass bei mir alles in ordnung sei. bei mir war aber gar nicht alles in ordnung, und so bat ich um aufnahme zur entgiftung für die folgende woche.
warum ich nicht gleich am nächsten tag kommen wolle? bett wäre frei! er respektierte meine antwort, dass ich noch einen artikel zu schreiben hatte mit deadline am freitag und mich um die versorgung meiner zwei katzen kümmern müsse.
so kam es zum aufnahmetermin am 6. september 1999 – einem montag. den rest der woche schrieb ich meinen artikel und trank schon nix mehr, um die bevorstehende entgiftung zu unterstützen. mir ging's ziemlich schlecht dabei. aber von kaltem entzug hatte ich damals noch nichts gehört. ich schob alle symptome auf die nervosität wegen des bevorstehenden krankenhausaufenthaltes.
der artikel wurde mit ach und weh am freitag fertig. für die katzen fand ich eine pflegestelle.
ich verabschiedete mich vom alkohol am samstag, 4. september und trank den sonntag nix. auf diese weise ist meine abstinenz von anfang an ein sonntagskind gewesen: heute wie damals war der fünfte september ein sonniger sonntag.
genau elf jahre sind es heute, die ich alkoholfrei lebe. die zahl 11 ist echt. keine eine ziffer, die ich doppelt seh. meine erste "trockene schnapszahl", sozusagen. schnapszahlen der anderen art sollen in meinem leben nicht mehr vorkommen. wenn auch sonst so viel schiefgeht und ich so oft so unglücklich bin: wenigstens das gelingt mir, und meiner würde zuliebe soll das auch so bleiben.
dafür bin ich sehr dankbar und angemessen stolz.
über die vielen "warums" meines alkoholkonsums mit sich entwickelnder sucht und die nicht weniger vielen "wies" des alkoholfreien alltags werde ich noch das eine oder andere schreiben. es ist ja keine selbstverständlichkeit, süchtig zu werden. erst recht ist es keine selbstverständlichkeit, von heute auf morgen wieder damit aufzuhören.
so war das auch nicht - weder das eine noch das andere. keine einfachen themen, über die zu schreiben ich immer wieder mut und einen neuen anlauf brauche. schließlich steckt das klischee der "versoffenen schlampe" noch tief in den köpfen.
selbst heute - nüchtern wie nie zuvor in meinem leben - schäme ich mich bisweilen und habe große angst, in diese schublade gesteckt zu werden.
ein sehr vielschichtiges thema also. es wird mehr als eine besondere maßnahme brauchen, um das alles aufzudröseln ....
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