Achtung. Achtung. Achtung.
Wir sind umgezogen!

Januar 2021

Das Büro für besondere Maßnahmen ist ab sofort erreichbar auf mojour.de

Nach und nach werden alte Beiträge – ggf. aktualisiert und überarbeitet – dorthin umziehen. Bitte folgen ... :-)

Sonntag, 21. März 2010

in memoriam - katzengeschichte no 5

„jetzt ist sie schon wiiieder weg!“ - ich hatte bloß kurz das fenster aufgemacht und zack! war mii-zeh maier nach draußen entwitscht. wir wohnten erst seit kurzem in der nähe vom flughafen, und meiner älteren katze schien es hier überhaupt nicht zu gefallen. dabei hatte ich mich auch den beiden katztieren zuliebe für die wohngemeinschaft im reihenhäuschen mit garten entschieden.


„jetzt wohnst du in berlin-westdeutschland,“ hatte eine freundin leicht spöttisch gesagt. sie fand meine neue wohngegend spießig. ich hingegen empfand die fliegersiedlung in der gartenstadt von neu-tempelhof nach langen jahren im sozialen brennpunkt zwischen kreuzberg und neukölln - wo ich schon mal im eigenen treppenhaus mit dem messer bedroht worden war - als wohltuend harmlos.

das haus war auch ganz hübsch, eins von den fritz-bräuning-häusern, sozialer wohnbau aus den 1920er jahren. ich empfand es als ehre, dort wohnen zu dürfen.

die katze hingegen war ständig unterwegs. für wochen! das ging von anfang an so. sie hatte sehr viel schneller gemerkt als ich, dass das nicht das richtige war für uns: das haus lag in der ein-/ausflugschneise des innenstadtflughafens. ende der neunziger jahre war in tempelhof noch mächtig betrieb. die flugzeuge warfen ihre lauten schatten auf den frühstückstisch. je nach wetterlage schmeckte nicht nur der salat nach kerosin.

ob es nun der flughafen war, der meiner katz‘ nicht in den kram passte oder der kater aus der nachbarschaft, der unser wohnzimmer als transit benutzte auf seinem weg vom garten über das vordach durch mein zimmer in die oberen stockwerke, wo er bei den mitbewohnern willkommen war - egal!

ich verbrachte einen großen teil von sommer und herbst damit, suchezettel aufzuhängen an laternenmasten oder in tierarztpraxen sowie in den gärten im umkreis von einem dreiviertel kilometer nach der katze zu fahnden.

mal rief mich jemand an, er habe die katze gesehen, und ich hatte zumindest einen ungefähren anhaltspunkt für meine suche. mal ließ sie sich finden, mal nicht. wenn ich sie gefunden hatte, bedeutete das noch lange nicht, dass sie sich auch einfangen ließ. sie schien zu wissen, dass ich sie ins ungeliebte haus zurückbringen würde und wich mir aus – ganz egal wie viel schabefleisch ich ihr auch hinhielt.

mein zweites katztier – mafia cioccolata - war geduldiger und blieb bei mir. sie war schon immer die häuslichere gewesen von den beiden. aber richtig wohl gefühlt hat auch sie sich nicht in dem haus, wo wir meist fenster und türen geschlossen halten mussten wegen des anderen katers und sie sich nicht frei bewegen konnte.

anfang juli 1998 waren wir umgezogen. im august war mii-zeh das erste mal weg. ich fand sie wieder, nach wochen. im september war sie das zweite mal weg. ich fand sie wieder. am 9. oktober verschwand sie endgültig aus dem leonhardyweg. ich suchte sie sehr, wochenlang - aber ich fand sie nicht. im geiste sah ich sie abwechselnd mit sonnenbrille, köfferchen und ticket auf dem rollfeld stehen und auf ihren flieger warten oder bei einer alten dame rundum verwöhnt auf dunkelroten samtkissen mit goldrand thronen.

was der katze nicht gefiel, war auch für mich nicht gut: peu à peu bemerkte ich neben den lästigen flughafenbegleiterscheinungen andere unappetitlichkeiten: unter der treppe türmten sich schimmelnd leere bierflaschen, die mitbewohner züchteten wissenschaftliche experimente im kühlschrank – und mir wurde verboten, unangenehmes auszusprechen, weil doch das kind ein waldorfkind war und keinerlei disharmonie vertrug.

ab mitte oktober war ich wieder auf wohnungssuche. einen neuen mietvertrag für ein schmuckstück von altbauwohnung am oberen kurfürstendamm gab es bereits ende november, kurz vor weihnachten zog ich endlich um. ich hatte nur noch eine katze: mafia schmiss sich auf die frisch abgezogenen dielen, sie liebte das hochbett und den kleinen balkon, die kartons ganz oben auf dem regal waren ihr ausguck.

an mii-zeh maier dachte ich oft. es tat weh, nicht zu wissen, was aus ihr geworden war. ging es ihr gut? hatte sie sich ein feines plätzchen gefunden? die hoffnung, sie wiederzufinden, hatte ich aufgegeben und versuchte, mich mit dem verlust des geliebten tieres zu arrangieren. ich produzierte in der masurenallee viele viele hörfunkbeiträge und erhielt im januar 1999 die chance, als feste freie regelmäßig für die kulturwelle zu arbeiten.

als ich am ersten februar aus dem funkhaus kam, blinkte der anrufbeantworter, eine jungenstimme: „ich glaube, wir haben ihre katze gefunden, bitte rufen sie zurück.“

es war ein kalter wintertag. schnee in berlin, die straßen vereist. mii-zeh hatte vor dem tempelhofer st.-josefs-krankenhaus fast einen verkehrsunfall verursacht, als sie über die straße gelaufen war. der junge hatte sie beobachtet, sie hatte hunger und ließ sich von ihm einfangen. er brachte sie zu sich nach hause, öffnete die kapsel an ihrem halsband, das sie trotz der langen zeit da draußen in der millionenstadt nicht verloren hatte.

er fand darin meine alte telefonnummer. damals war die telekom noch sehr streng: wenn man in berlin von einem stadtteil in den anderen zog, durfte man die telefonnummer nicht mitnehmen. ich hatte auf der alten leitung eine tonbandansage schalten lassen, dass die nummer sich geändert hatte – mit angabe der neuen rufnummer. dieser service war kostenlos, immerhin.

der junge hatte die alte nummer gewählt. hatte dem tonband geduldig zugehört, sich die neue nummer notiert und mich dort noch einmal angerufen. er hatte tatsächlich meine katze gefunden!

wie ferngesteuert schnappte ich mir den katzenkorb, schlitterte mit meinem alten auto quer durch die schon dunkle stadt; verursachte einen stau, als die batterie mitten auf einer großen kreuzung versagte und starthilfe brauchte – und kniete plötzlich in einer fremden wohnung vor einem großen ohrensessel, unter dem sich meine! meine! meine! katze mit angstvoll leuchtenden augen verkrochen hatte.

ich bedankte mich, zahlte einen finderlohn und brachte das wunder mii-zeh maier nach hause: mehr als vier monate lang hatte sie sich in der großstadt alleine draußen durchgeschlagen, den ganzen langen winter lang. sie war unverletzt, sie war gesund, sehr schlank und unverändert schön.

in der „neuen“ wohnung schnupperte sie kurz an fressnapf und katzenklo, gab ihrer tochter mafia cioccolata einen nasenstüber, stieg die treppe zum hochbett hoch und setzte sich schnurrend auf die regalkartons als hätte sie nie etwas anderes getan.

die schwierigste aufgabe war jetzt, meinem damaligen vermieter vorsichtig zu erklären, dass ich plötzlich zwei katzen hatte. der milde dr. M duldete sie freundlich.

nur wenige tage später hat die telekom das tonband mit der umzugsmeldung abgeschaltet.
mii-zeh maier war weiterhin oft und lange draußen unterwegs, aber sie lief nie wieder weg.
wir hatten danach noch zehn schöne jahre miteinander.
wo sie war und was sie erlebt hat in jenem winter 1998/99 allein im wilden und gefährlichen großstadtdschungel - das hat sie mir nicht erzählt.
die nacht vom 21. auf den 22. märz vor einem jahr war ihre letzte.


--------

Related Posts Plugin for WordPress, Blogger...