bis vor kurzem hatte ich zwei katzen, nicht bloß eine. katztier no. 1 holte ich aus dem tierheim berlin-lankwitz, damals, im september 1990. das war kurz nachdem ich aus japan zurück war - und kurz vor dem großen deutschen einheiz-gedöns.
drei monate war sie alt. schildpatt-schwarz mit großen bernsteingelben augen und wunderschön saß sie allein in der engen tierheimbox und schnurrte mit dem schnäuzchen am gitterdraht entlang. „die da ist schön, die nehm' ich“ - mit diesen worten besiegelte ich eine fast zwei jahrzehnte dauernde lebensgemeinschaft.
ich transportierte das quirlige tierchen in einem plastikcontainer den ganzen langen weg zurück von lankwitz nach neukölln mit bus und s-bahn und u-bahn. sie war sehr gesprächig unterwegs und unterhielt halb berlin. dabei sagte sie nicht „miau“, wie andere katzen, sondern „miiiiee“.
auch, als ich sie später zu hause immer wieder fragte „kätzchen, wie heißt du denn?“ - da war die antwort jedes mal „miiiee“. tagelang. so nannte ich sie dann auch. MII. in japanisch bedeutet das „schön, die da“. und genau das waren ja meine worte gewesen im tierheim, mit denen ich die pflegerin bat, mir bitte genau diese mii-zeh-katze zu vermitteln. also nannte ich sie mii. hintendran hängte ich die japanische kosesilbe CHAN. nicht das distanzierte SAN. also mii-chan. in den katzenpass trug ich mii-zeh maier ein. nicht mii-chan, weil das ihr kosename war, den benutzten wir nur "en famille". ihr offizieller name war mii-zeh, „die ehrenwerte mii“. maier mit nachnamen. denn ordnung muss sein, sie war im mai geboren, und auch ein katztier braucht einen nachnamen.
mii-chan war eine ganz besondere katze. trotz ihres profanen nachnamens. sie war der fleischgewordene beweis für die redensart "wo eine katze wohnt, braucht man keine skulpturen mehr aufstellen". mit gelassener selbstverständlichkeit postierte sie sich in der geometrischen mitte eines jeden raumes. oder im goldenen schnitt zwischen allen anwesenden.
außerdem konnte sie mehrstimmig schnurren. quasi mit sich selbst im duett - inklusive obertönen. und sie hat geschnarcht, ganz entzückend. wie ein kleiner mercedes benz diesel.
mii-chan ist mehr als ein halbes dutzend mal mit mir umgezogen, kreuz und quer durch die republik. diese zigeunerkatze war überall zu hause und oft wochen-, ja monatelang allein unterwegs. sie ist doch immer wieder zu uns zurückgekommen. wo immer sie war, war auch ein miezhaus.
als wir in süddeutschland beim radio arbeiteten, da hat sie mich des öfteren zum bahnhof begleitet. im morgengrauen um halb fünf, wenn ich zur nachrichtenschicht ins funkhaus ging. einen halben kilometer zu fuß durch unser wohndorf bis an die fußgängerbrücke zum bahnsteig. da blieb sie sitzen, schaute zu, wie ich in den zug stieg. dreiviertel fünf. sie drehte sich um und ging zurück, bevor der zug losfuhr. wenn ich heimkam nach der letzten redaktionssitzung am nachmittag, lag sie schlafend unter meinem schreibtisch.
einmal wurde mii-zeh maier entführt. das war damals im sozialen brennpunkt in berlin-neukölln. durchs küchenfenster hatte ich sie gerade eben noch gesehen, wie sie vier stockwerke tiefer unten auf dem hinterhof ihr revier inspizierte. minuten später klingelte das telefon, die türkengang aus dem kebab-salon vom reuterplatz: „wir haben ihre katze gefunden. wir wollen finderlohn. mindestens 50 mark. sonst schmeißen wir die katze auf die straße.“ ich war noch studentin. so viel geld hatte ich gar nicht mehr im portemonnaie. aber natürlich ging ich erst mal runter, da standen die kerls, feixend. und der ganze muslimische anhang feixte mit. pardon. der ganze anhang mit migrationshintergrund. samt kebapsalonbesitzer. alle feixten sich eins. ich hatte noch zwanzig mark. mit mühe konnte ich das lösegeld auf genau diesen betrag herunterhandeln. döner kebap habe ich dort nie wieder gegessen.
andere frauen haben kronjuwelen. ich habe katzen.
mii-chan war die mama von mafia cioccolata, meinem katztier no. 2.
heute ist es genau ein halbes jahr her, dass mii-zeh uns verlassen hat. kein anderes lebewesen war mir jemals so lange so nah wie diese katze: wir hatten mehr als achtzehneinhalb gemeinsame jahre, und es war das erste mal für mich, dass ich ein geliebtes wesen in den tod begleitet habe.
woran sie letztlich gestorben ist, bleibt nur zu vermuten. eine hüftarthrose hatte sie schon lange, die chronischen schmerzen wurden mit medikamenten gelindert, um sie beweglicher zu halten. so konnte sie immer noch allein aufs fensterbrett hüpfen. mit stop-over auf dem stuhl, den ich ihr beflissen hinstellte.
ein katzenbiblisches alter hatte sie mit ihren fast neunzehn jahren. ihre letzte nacht war grausam schwer, mit atemnot, keuchen und lähmung der hinterbeine: da habe ich sie sonntag früh in die notfallpraxis gebracht.
sie war schon so kühl, dass nicht einmal mehr das fieberthermometer reagierte. es gab nichts, das ihr leiden mehr als nur ein paar tage verlängert hätte. da habe ich sie einschläfern lassen.der fremde arzt war sehr freundlich und sehr respektvoll.
hypertrophe kardiomyopathie und sattelthrombose hat er als todesursache vermutet. dazu passte mii-chans verhalten in ihren letzten tagen, der kleine schlaganfall. was katzen nicht alles kriegen können ....
sie starb 22. märz 2009. das ist gleichzeitig auch der geburtstag meines besten, langjährigsten freundes. das wundert mich nicht: mii-chan war immer eine diva - so hat sie auf ihre eigene katzenweise dafür gesorgt, dass ich sie nie vergessen werde.
nicht, dass das nötig gewesen wäre: noch heute sehe ich ihren schatten fast täglich um die ecke huschen, aus dem augenwinkel.
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[über den Umgang mit Katzen & Vermietern - und andere wichtige Dinge im Leben einer Frau]
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Januar 2021
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