Zwischen Rheinebene und Schwarzwald |
Bisher ist es mir nicht gelungen, im bezahlten Erwerbsarbeitsleben wieder Fuß zu fassen. Zwar hatte ich mehrere Vorstellungsgespräche und war auch bei einer Stelle ganz nah dran. Das ist schon ein Wunder, wenn eine über 50 ist, bestens qualifiziert und etwas mehr Honorar erwartet als den ungesetzlichen Mindestlohn.
Aber für einen Arbeitsvertrag hat es dann doch nicht gereicht.
Nun ist es mir immerhin gelungen, einen Minijob zu ergattern:
Ich darf Anzeigen Korrektur lesen bei einem regionalen Wochenblatt. Stundenweise, auf Abruf.
Das Honorar beträgt 10 Euro die Stunde. Für eine, die mal Kulturredakteurin war bei der ARD, ist das lächerlich. Da habe ich schon als Studentin vor 30 Jahren mehr verdient.
Die Zeiten haben sich geändert.Ich bin schon froh, dass ich das überhaupt machen darf, denn das habe ich nur der Verkettung von ein paar mehr oder weniger großen Zufallen zu verdanken:
Angefangen damit, dass ich die Zeitung überhaupt in meinem Briefkasten hatte. Bis vor kurzem klebte da nämlich noch ein Aufkleber „Keine Werbung bitte (und auch keine kostenlosen Zeitungen)“, weil mich diese Anzeigenblätter so nerven! Jahrelang haben sich die Zusteller daran gehalten.
Der Aufkleber war altersschwach, ich hatte ihn entfernt und noch nicht durch einen neuen ersetzt. Zack! Da war mein ungeliebtes Wochenblatt wieder da. Im Allgemeinen benutze ich es ohnehin nur, um Kartoffelschalen darin einzuwickeln oder den Mülleimer damit auszulegen.
Dass ich das Blatt an jenem Vormittag ausnahmsweise gelesen habe, lag nur daran, dass ich noch eine knappe halbe Stunde Zeit zu überbrücken hatte, bevor ich mich auf den Weg machen wollte, um pünktlich zu einer Frühstücksverabredung in der Stadt zu sein.
Die weiteren günstigen Koinzidenzen waren dann, dass ich a) das „Stellenangebot“ überhaupt entdeckt habe, b) sofort – trotz Feiertag! - dort anrief, dass ich es c) rechtzeitig gelesen habe um d) die erste zu sein, die sich darauf meldete und e) die zuständige Kollegin - wegen Feiertag! - in einer entspannten Atmosphäre am Telefon erwischte, so dass sie f) sich über meinen Anruf freute, g) mir geduldig zuhörte, h) Zeit und Lust hatte, mir ausführlich zu antworten und i) mir sofort einen Termin für ein Kennenlerngespräch vorschlug.
Wie viele Bewerbungen es insgesamt gab, weiß ich nicht. Es müssen sehr viele gewesen sein. Das Telefon klingelte noch, als ich eine Woche später bei ihr im Bewerbungsgespräch saß.
Tags darauf war ich eingeladen zu einem ersten „Probearbeiten“. Auf meine Kosten naürlich, unbezahlt. Einarbeitung wird bei Aushilfsjobs wohl nicht mehr vergütet, diese Zeit muss ich als prekär Beschäftigte meinen Arbeitgebern schenken.
Da bin ich ja schon froh, dass ich nicht noch draufzahlen und vorher eine teure Schulung absolvieren muss, in der mir als bestens qualifizierter journalistischer Fachkraft das Korrektur lesen erst noch auf meine Kosten beigebracht wird.
Immerhin, „auf Probe“ war nur ein Nachmittag, die paar Stunden meiner Lebenszeit schenke ich Euch Arbeitgebern. Ab dem zweiten Arbeitstag schenkt ihr mir ja jetzt Geld für die Zeit, die ich in Euren geheizten Räumen mit Aussicht verbringen und Tippfehler rot ankringeln darf. Ihr hättet mich auch vom Jobcenter geschenkt kriegen können als kostenlose Praktikantin für ein paar Monate. Darauf habt ihr verzichtet. Dafür danke!
Nun fahre ich also zwei Mal die Woche für zwei bis drei Stunden in die benachbarte Kurstadt. Bei trockenem Wetter kann ich die paar Kilometer radeln. Das trägt zu meiner Fitness bei. Quasi ein kostenloser Zusatznutzen zum zu erwartenden finanziellen Rebbach.
Natürlich werde ich als Hartz-4-Empfängerin nicht allen Lohn behalten und sorglos verprassen dürfen. Ich finde das auch völlig in Ordnung, wenn ich den SteuerzahlerInnen so viel wie möglich und nötig zurückgebe von den Geldern, mit denen sie mein Existenminimum so großzügig unterstützen.
Es ist allerdings keineswegs so, dass ich – wie oft angenommen – die ersten 170 Euro behalten darf.
Behalten darf ich nur die ersten 100 Euro. Die gelten als Aufwandsentschädigung für Fahrtkosten, Arbeitskleidung, Arbeitsmaterial, Versicherungen, Bewerbungs- und Kommunikationskosten, Verpflegungsmehraufwand ...
Darüber hinaus gebe ich von jedem Euro Einkommen 80 Prozent ab, darf also nur 20 Eurocent behalten. Das ergibt bei einem Minijob mit einem Monatsverdienst von durchschnittlich maximal 450 Euro maximal 170 Euro im Monat.
So viel werde ich aber gar nicht verdienen. Bei vier bis sechs Wochenstunden komme ich auf höchstens 250 Euro im Monat, von denen ich dann 130 Euro für mich behalten darf. Aber besser als nix. Ich bin ja schon froh, wenn mein Leben ein bißchen weniger schlimm ist. Dass es jemals wieder gut werden könnte, wage ich kaum noch zu hoffen.
Was noch? Ach ja: Theoretisch stehen mir bei meinem Minijob auch Urlaubstage und anteilige Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu. Ob ich die auch erhalte, bleibt abzuwarten. Eine schriftliche Vereinbarung habe ich bislang noch nicht gesehen.
Wenn ich den Minijob behalten will, werde ich tunlichst nicht nach weiteren Details fragen und nicht auf die Einhaltung der mir zustehenden Rechte pochen: Es stehende Dutzende weiterer BewerberInnen Schlange, die die Arbeit zu den bestehenden Konditionen mit Handkuss übernehmen würden.
Welcher (Zeitungs-)Verlag leistet sich heute noch eine Korrekturleserin? Da sind zehn Euro die Stunde vergleichsweise viel. Das verdienen oft nicht einmal die freien JournalistInnen. Dass es nur ein Bruchteil ist von dem, was ich früher einmal verdient habe, zählt nicht. Viele 450-Euro-Jobs sind inzwischen ausgelegt als Halbtagsstellen mit einem Stundenlohn von Fünfeuroäpfelputz. Da habe ich es doch gut!
Außerdem ist das Korrekturlesen eine Arbeit, die ich einfach gut kann, bei der ich fast gar nicht in Stress gerate. Im Verlag sitze ich mit den Korrekturstapeln allein in einem ruhigen, gerade nicht genutzten Raum oder in der Küche – ohne Telefon und ohne PC. Das ist geradezu erholsam.
Mit das Schönste: Mein inneres Kind freut sich ein Loch in den Bauch, wenn es mit dem Rotstift lustige Kringel aufs Papier malen darf. Auf Papier! Ganz analog!
Deswegen bin ich jetzt einfach mal dankbar und ignoriere das bisschen zähneknirschende Grummeln im Bauch. Lieber wäre mir natürlich, wenn ich mich von meiner Arbeit auch endlich wieder ernähren könnte - und von den Demütigungen des Jobcenters nicht mehr abhängig wäre.
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