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Donnerstag, 31. Dezember 2009

willkommen zwanzigzehn!

„well, I must say that everything looks very nice!“.... sagte miss sophie, als sie im großen schwarzen abendkleid, ausgestattet mit um die schultern drapierter wolldecke und fingerlosen handschuhen von der galerie herab in die scheinbar unbeheizte halle trat, wo ihr treuer butler james bereits den tisch gedeckt hatte für ein gesetztes fünf-personen-geburtstags-dinner, von denen außer der gastgeberin niemand anwesend war und auch niemand mehr erwartet wurde.




es sieht alles sehr gut aus. ich gebe mir jetzt einfach mühe, das heute für mich auch so zu sehen:

mein saal ist mollig warm geheizt, immerhin. auf meinem tisch leuchten frische rosen, die wohnungen unter mir sind still verlassen (das ist wichtig, weil die vermietermischpoke auch das extra laute obernervige steirische polka-akkordeon mitgenommen hat) - und über den bergen im osten steigt der vollmond empor. das sieht wirklich alles sehr gut aus.

ich bin so froh, dass dieses olle jahrzehnt mit der doppelnull in der mitte endlich zu ende geht. die nichtigen nichtsnutzigen ungezogenen naughties sind vorbei - neun jahre fürs klo! dabei hatte mein Y2K so gut angefangen, damals.

vor zehn jahren war ich noch in berlin, hatte gerade aufgehört mit dem alkohol und beschlossen, ohne drogen ins neue jahrtausend zu gehen. welch eine heldentat! welch ein mut! zuversichtlich blickte ich in eine klare, unbenebelte zukunft. hätte ich gewusst, was mich erwartet .... aber ich habe es nicht gewusst. später habe ich dann diesen sportlichen ehrgeiz entwickelt, nüchtern zu bleiben. meiner würde wegen. ganz egal wie schlimm es noch kommt.

um mitternacht standen wir auf der brücke über den s-bahngleisen in der kreuzberger monumentenstraße und stießen an mit kräutertee - mein schöner, geliebter, kreativer mann und ich.

die große stadt um uns herum versank im suff – und im dichten nebel. wir waren ein bißchen schadenfroh, weil vom großen millenniumsfeuerwerk am brandenburger tor rein gar nichts zu sehen war und all die sensationsgierigen fuzzis da oben in den kreisenden hubschraubern und privatflugzeugen über uns so viel geld für eine nebelpartie verpulvert hatten.

am nächsten morgen habe ich den mann verlassen. „ich vögel dich gerne, aber ich liebe dich nicht,“ hatte er gesagt. solange ich noch trank, habe ich das irgendwie ausgehalten. ausgeschlafen und nüchtern ertrug ich es nicht. also bin ich gegangen. ich wußte in dem augenblick noch gar nicht, dass das endgültig war. natürlich hatte ich gehofft, dass er seine meinung noch ändert und mich bald wieder anrufen würde. er hat sich nie wieder gemeldet.

ich hatte das zusammensein mit ihm so sehr genossen. ich habe ihn so sehr geliebt! er hatte eine wunderbare art, mir beim spazierengehen die hand auf die schulter zu legen, dass es ganz leicht war. er hing nicht an mir dran, wie manch anderer. er ließ seinen arm einfach nicht schwer werden. er war immer wach und präsent, aber niemals belastung.

ich war unendlich traurig darüber, dass wir uns nicht mehr sahen – und gleichzeitig fassungslos, weil er mich wirklich hatte gehen lassen. ich übernahm zusätzliche schichten. die arbeit in der redaktion lenkte mich ab und half mir, die trennung ohne alkohol zu überstehen.

das war vor zehn jahren.

vor zwanzig jahren habe ich silvester und neujahr in japan verbracht. das war eine ganz andere welt, damals bei meinen geishamüttern in kyoto.

kein lautes getöse und geböller, kein geistloses besäufnis mit jubeltrubel, keine zwangsgutelauneaufbestellung – sondern eine stille, besinnliche nacht in heiterer gelassenheit.

party ist in japan eher an weihnachten – weil da der sohn vom christengott geburtstag hat. also gibt es christmasparty mit weihnachtstorte: die torte ist vorzugsweise aus sahne mit erdbeeren. nicht, dass erdbeeren an weihnachten in japan besonders reif und billig wären – ganz im gegenteil: die werden aus der ferne eingeflogen und sind kostbar einzeln verpackt wie pralinen! aber nichts sonst sieht für japanische augen so sehr aus wie weihnachtsmänner im schnee.

frauen werden in japan übrigens gerne mit dem rot-weißen sahne-erdbeer christmas-cake verglichen: es heißt, nach dem fünfundzwanzigsten seien wir nicht mehr frisch. im klartext: eine frau, die mit 25 noch nicht verheiratet ist, gilt als ungenießbar. eine vergleichbar abwertende redewendung für männer gibt es in japan natürlich nicht. aber das nur am rande.

zurück zur neujahrsnacht in japan:

ganz im gegensatz zu uns, wo man zwischen weihnachten und dreikönig am besten alles stehen und liegen lässt, was irgendwie mit haushalt und wäsche waschen zu tun, damit sich nicht böse geister darin festsetzen können, die man dann das ganze jahr über nicht mehr los wird, muss in japan das neue jahr blitzeblank begrüßt werden!

beim putzen und schrubben und polieren kommt die japanische hausfrau also im alten jahr noch einmal ordentlich ins schwitzen. nach der äußeren putzete ist dann der eigene körper dran. letzteren brauch habe ich übernommen: seither beschließe ich mein altes jahr mit einem vollbad – am liebsten in meersalz mit rosenblüten. salz reinigt. sehr spirituell und auch in echt! und der ganze dreck vom alten jahr gurgelt auf und davon durch den abfluss auf nimmer wiedersehen. wunderbar!

später am abend saßen wir bei freunden und aßen toshikoshi-soba: lange jahresendnudeln aus buchweizenmehl. für ein langes leben, und um immer beieinander zu sein mit dem herzen.

nach mitternacht machten wir uns auf den weg zum tempel der familie, zum ersten gebet. es hatte geschneit, mit vielen anderen stapften wir zu fuß durch den wald, eine kalte nacht. wieder zurück im haus, gab es eine klare suppe mit mochi. klebrige, glibbrige, absolut köstliche reismehlknödel, ohne die das neue jahr nicht beginnen kann!

bis all das erledigt ist, ist die nacht schon fast rum, und das ist auch sinn der sache. mit dem beginn des neuen jahres wird die wiedergeburt des lichts gefeiert. die große mutter, die sonnengöttin amaterasu omikami wird geehrt, und man darf nicht schlafen gehen, bevor man nicht die neujahrssonne gesehen und ehrfürchtig begrüßt hat!

die neujahrssonne begrüßen ohne vorher eine runde zu schlafen, das finde ich hier in meinen breitengraden wirklich schwierig. diese deutsche winternacht ist mir einfach zu lang, um durchzumachen! zum ausgleich mache ich dann in der frühe einen doppelten sonnengruß und hoffe, dass die große göttin das als angemessen empfindet.

mit dem ende dieser nacht beginnt das jahr des tigers. das ist mein jahr, das wird gut, das weiß ich: da bin ich unter gleichgesinnten – auch wenn wir tigressen sonst eher einzelgängerInnen sind.

ich denke ja immer, dass die erde eigentlich hopsen müsste um mitternacht, weil ein neues jahr beginnt. ist aber nicht so. sie dreht sich einfach weiter.

trotzdem wäre ich nicht überrascht, wenn‘s hüpfen täte: zwanzigzehn kann kommen. es sieht alles gut aus. ich zünde mein bestes räucherwerk und gebe euch einen ringelnatz mit auf den weg:

„ein rauch verweht, ein wasser verrinnt, eine zeit vergeht, eine neue beginnt.“

fangt‘s gut an!


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