gerade erst hatte ich gedacht: „jetzt
haste aber ne menge erfahrungen gemacht. gerade die letzte war ja
mal wieder eine echte herausforderung, zu buchen auf das lebenskonto 'erfahrungen - sollseite'. nun könnte zur abwechslung einmal etwas kommen, das ich aus dem fundus an bereits gemachten erfahrungen locker bewältigen kann - damit ich ein bißchen luft habe, um mich
mit aller kraft in die neue stelle einzuarbeiten, gut fuß zu fassen
und souverän zu werden ...!“
blühender glücksklee (oxalis tetraphylla) |
aber immer dann kommt das leben,
watscht mir ins gesicht und sagt „äätsch-bäätsch! ich habe noch
was neues für dich!“ ZACK!
dieses luder.
keine drei monate war ich im medienkonzern, halbtags, als redaktionsassistenz für
drei verschiedene redakteurinnen. im grunde musste ich dreierlei jobs
neu lernen, für jede einen, ganz unterschiedliche aufgaben in
unterschiedlichen redaktionssystemen und software-backends.
vielerlei, alles sehr komplex.
obwohl ich als zeitarbeiterin schon
fast ein dreiviertel jahr in einer anderen abteilung gearbeitet
hatte, kam ich mir vor wie in einer neuen firma. erfahrene
kolleginnen sagten: „da brauchst du mindestens ein jahr, um dich
einzuarbeiten.“ eine ganz ehrliche kollegin sagte: „um sich
wirklich auszukennen, braucht man zwei jahre.“
sehr viel auf einmal, so schnell wie
möglich, oft sekundenschnelles hin- und her-switchen: auf emails und
kundenanfragen umgehend reagieren; dazwischen komplexe übersetzungen
juristischer texte aus dem deutschen ins englische (zu denen eine
befreundete diplomübersetzerin gesagt hatte, dass sie sich das nur
zutrauen würde, wenn ein muttersprachlicher arbeitsrechtler das
gegenliest); gleichzeitig zweierlei portalsforen auf neue einträge
überwachen (und beantworten); stundenlanges akribisches prüfen
diffiziler textbausteine in der software (ist die englische
übersetzung korrekt, stimmt die zuordnung …); das alles und noch
viel mehr - im geräuschpegel von teils laut telefonierendem
großraumbüro und baustellenlärm vor dem fenster.
unmöglich, mir alles gleich beim
ersten mal zu merken. ich habe kein fotographisches gedächtnis. mein
mensataugliches hochleistungshirn im overload. ich schwamm. stück
für stück fand ich mich ein, tag für tag schaffte ich mir mehr
boden mehr unter die füße.
wenn ich nicht weiterkam, fragte ich
die kollegInnen. so war es vereinbart. wenn ich fehler machte, wurde
ich darauf hingewiesen, hörte zu, lernte daraus. wie das eben so ist
in einer einarbeitung.
in den vierzehntägigen rücksprachen
mit der redaktionsleitung bekam ich großes lob für meine
übersetzungen. von den beiden anderen erhielt ich kein konkretes
feedback. „solange nichts negatives kommt, ist alles gut im fluss.“ -
dachte ich und strengte mich weiter an.
umso entsetzter war ich, als die chefin in meiner elften woche am neuen arbeitsplatz die rücksprache eröffnete mit den worten: „ich habe
schlechte nachrichten für Sie.“ - ?!?!?! - „Sie wissen sicher
schon, worum es geht.“ - ?!?!?! - „wir wollen Ihnen kündigen.“
- ?!?!?! - „wir haben uns die entscheidung nicht leicht gemacht.“
- ?!?!?! - „Sie sind zeitlich zu unflexibel (ich war pro arbeitstag im schnitt fast eine stunde länger da).“ - ?!?!?! - „Sie
haben überhaupt kein gespür dafür, wann hier viel zu tun ist.“ -
?!?!?! - „Sie haben zum falschen zeitpunkt einen tag urlaub
genommen (das war kein urlaub, sondern - auf den vorschlag der chefin hin - das zeitnahe abgleiten von überstunden und mit allen abgesprochen).“ - ?!?!?!
- „Sie sind im allgemeinen den belastungen dieser stelle nicht
gewachsen.“ - ?!?!?! - „Sie hätten doch merken müssen, dass
schlechte stimmung ist.“
dann legte sie mir die kündigung vor
(abgezeichnet von dreierlei geschäftsführungen und abgenickt vom
betriebsrat). ich hatte den empfang zu quittieren, meinen
schreibtisch sofort zu räumen, die mitarbeiterkarte auf den tisch zu
legen und das haus zu verlassen.
oh leben, du luder!
ich war geschockt und bin es noch.
offensichtlich hatten die drei „herrinnen“ (o-ton chefin) seit
wochen und monaten über mich gesprochen - und nicht ein einziges mal mit mir. ich hatte keine chance, stellung zu nehmen und - was auch
immer - zu verändern, verhalten oder arbeitsweisen zu korrigieren
und anzupassen. statt dessen haben sie meine - angeblichen - defizite
gesammelt und mich ins offene messer laufen lassen.
luder.
ich war nicht gut. ich war ihnen nicht einmal
gut genug, dass ich ihnen die zeit wert gewesen wäre, meine
angeblich ungenügenden leistungen mit mir zu besprechen. ich war scheinbar sogar so
dermaßen schlecht und unerträglich und schädlich fürs geschäft, dass man mich lieber von jetzt
auf gleich wegschickt - und dafür in kauf nimmt, trotz arbeit im
überfluss die stelle nun wieder mindestens sechs wochen lang
unbesetzt zu haben, um anschließend mit einer neuen kollegin und
der einarbeitung wieder ganz von vorne zu beginnen.
abgesehen von dem schock über dieses
unerwartete ende von etwas, das für mich mit ganz viel zuversicht
begonnen hat …; abgesehen von der verzweiflung, jetzt wieder ohne
eine regelmäßige arbeit dazustehen und dem hartz4-amt aufs neue
vollzeit ausgeliefert zu sein …; abgesehen von der trauer, so von
jetzt auf gleich einen wichtig gewordenen teil meines lebensinhalts
abgeschnitten zu bekommen …; abgesehen von der großen
ratlosigkeit, was die entsetzlich große differenz angeht zwischen eigen- und
fremdwahrnehmung …; abgesehen von der verunsicherung, wie ich denn
nun in meinem lebenslauf elegant unterbringe, dass ich bereits während
der probezeit rausgeworfen wurde …
abgesehen von alledem ... bin ich ganz
schön wütend!
denn auch, wenn ich jetzt im augenblick
überhaupt noch nicht weiter weiß, folgendes ist schon mal klar:
es ist überhaupt nicht schön, dass
ich meine arbeit schon nach so kurzer zeit wieder verloren habe. aber
es ist überhaupt nicht schlimm, dass ich diese arbeit nicht mehr
habe:
in einer umgebung, wo ich ohne
hellseherische fähigkeiten ständig angst haben müsste, das falsche
zu tun oder zu sagen, weil jemand anders darauf lauert, mich
vorzuführen, könnte ich auf dauer nicht gedeihen.
für einen betrieb, dessen
devise (u.a.) lautet „Bei uns fahren alle Vollgas. Immer. Wer nicht immer
Vollgas fährt, fährt besser woanders!“, habe ich einfach nicht
genug testosteron im blut, liebe ich das achtsame unterwegs-sein viel
zu sehr.
wenn ich schon im firmensprech, das den
maskulinen singular zur norm erklärt und frauen für nicht weiter
der rede wert hält, nicht vorkomme - dann habe ich dort zwar jetzt meinen job, als kluge frau aber ansonsten nichts verloren.
so.
ich bleibe in bewegung.
leben, es darf wieder etwas neues kommen.
du luder!