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Mittwoch, 11. November 2009

besondere maßnahmen VII – gehe zurück auf los

.... und ziehe nicht monatlich deutsche euro 1000 ein!

mit gut 1500 euro brutto dotiert war die sekretärinnen-stelle, auf die ich mich kürzlich beworben habe. öffentlicher dienst, 85 % teilzeit. zunächst befristet auf viereinhalb monate. nach abzug aller steuern, abgaben und sozialversicherungen wären davon rund zwei drittel übrig geblieben. kaum mehr als mein arbeitslosengeld, aber immerhin.



um es vorweg zu nehmen: ich habe die stelle nicht gekriegt. einmal mehr heißt es also für mich: ätschbätsch! vergeblich bemüht, umsonst gehofft – alles bleibt wie es ist. es ist nicht einmal der hauch der idee einer ahnung von besserung meiner derzeitig prekären lage in sicht.

ich war eingeladen! diese unerhörte ehre ist mir in den jahren seit meinem vierzigsten geburtstag nur ganz ganz selten widerfahren. das letzte persönliche bewerbungsgespräch liegt mehr als vierzehn monate zurück.

damals hatte ich sogar eine mündliche zusage für eine der drei neu zu besetzenden stellen erhalten. wochen später lag dann doch wieder nur der ungeliebte große umschlag mit nichtssagender standardabsage im briefkasten. haha – reingefallen! auf mündliche absprachen kann man sich doch heutzutage nicht mehr verlassen, du dummerchen!

diesmal waren außer mir nur zwei andere kandidatInnen eingeladen. die derzeitige stelleninhaberin ist eine bekannte von mir. sie wird zum jahresende die stadt verlassen, hatte mir den tipp gegeben, mich zu bewerben und mich sogar ihren vorgesetzten empfohlen – da hatte ich mir realistische chancen ausgerechnet.

in den schönsten farben hatte ich mir ausgemalt, wie schön das sein könnte, nach all den jahren wieder finanziell unabhängig zu sein und nicht mehr zu diesem blöden hartz-amt zu müssen. wenn zwar auch weiterhin sparsam, so doch selbst über mein geld entscheiden zu können!

auch wenn ich dort kaum mehr verdient hätte als mein arbeitslosengeld: abzüglich der dann fälligen fahrtkosten, GEZgebühren und höherer krankenkassenzuzahlung hätte ich sogar einiges weniger gehabt als jetzt. aber egal! ich will arbeiten! für geld!

im gespräch fand ich mich gut: angemessen souverän, nicht zu dick aufgetragen, meine hochbegabung nicht raushängen lassen. immer gut blickkontakt gehalten, auch mal gelacht, bei fangfragen weder patzig geworden noch aufmüpfig.

tja. ich war wohl gut – aber nicht gut genug.

fairerweise kam die telefonische absage noch am selben tag. man habe lange diskutiert und die entscheidung sei sehr schwer, dann aber doch auf die mitbewerberin gefallen: weil die mehr 'vom fach' sei.

aha. mal wieder so eine typisch deutsche absage: wer einen schein hat mit stempel drauf gilt als 'vom fach'. jahrzehntelange erfolgreiche erfahrung ohne schein mit stempel gilt nicht als 'vom fach'.

am telefon habe ich mich noch sehr zusammengerissen. diese eiskalte personalerblondine wollte ich auf keinen fall merken lassen, wie sehr ihre absage mich in einen abgrund der hoffnungslosigkeit stürzte. ich blieb höflich, korrekt und freundlich, bedankte mich sogar für den schnellen bescheid und die persönlichen worte.

nachdem ich das telefon abgestellt hatte, ging gar nix mehr. meine perspektive war futsch, meine façon auch und ich habe den nachmittag, den abend und die nacht durchgeheult. bin mit tränen im gesicht wach geworden und habe mir den frühstückskaffee versalzen.

soll ja ganz gut sein, wenn man gleich weinen kann, weil es den ganzen psychostressdreck rausspült aus körper und seele. bloß ist in meinem leben schon seit langem immer so dermaßen viel psychostress, dass ich mich innerhalb der letzen jahre nicht an einzigen tag erinnern kann, an dem ich nicht zumindest eine zeitlang heulend in der ecke gesessen wäre. oft waren es eher zwei zeiten lang oder mehr.

so viel augenantifaltencrème kann ich gar nicht benutzen, um diese tränensäcke jemals wieder auszubügeln. hartz4 macht häßlich!

im lauf des vormittags spürte ich, wie meine verzweifelte enttäuschung sich allmählich in wut verwandelte. wie konnten die sich das nur entgehen lassen?! diese einmalige chance?! mich hochqualifiziertes goldschatzstück zu einem solchen dumpinglohn?! pah! selber schuld!!

jetzt, aus etwa dreißig stunden abstand betrachtet, war dieses bewerbungsgespräch eines der fiesesten, die ich jemals erlebt habe.

habe ich eigentlich schon erwähnt, dass ich mich auf ein hochschul-sekretariat mit publikumsverkehr beworben habe? dass in der 'prüfungskommission' zwei lehrstuhlinhaberinnen, die personalerchefin und eine personalrätin saßen?

die vier haben es nicht einmal gemeinsam geschafft, mir auch nur ansatzweise mitzuteilen, welche aufgaben ich dort eigentlich zu erfüllen gehabt hätte. es gab nicht eine einzige frage, in der eindeutig nach für die zu besetzende stelle notwendigen qualifikationen gefragt wurde.

statt dessen spielten sie mit mir spekulatives stehgreiftheater:

„stellen Sie sich vor, Sie kommen an ihrem ersten arbeitstag hierher und niemand ist da. die ganze hoschschule ist leer. wie kommen Sie an die informationen, die Sie brauchen, um Ihre arbeit zu erledigen?“ wie bereits gesagt, man hatte mir weder mitgeteilt, was denn meine arbeit eigentlich sei – noch wie die aufgaben unter den insgesamt drei fakultätssekretärinnen aufgeteilt sind.

ich sagte nicht, dass ich wohl kaum ins gebäude reingekommen wäre, wenn nicht einmal der hausmeister da wäre. ich habe auch nicht gesagt, dass ich mich dann erst mal hinsetze und in meinem eigenen kalender nachschaue, ob ich mich vielleicht im datum geirrt haben könnte und aus versehen an einem sonntag gekommen bin. erst recht nicht habe ich gesagt, dass ich mir dann erst mal nen kaffee kochen, ne halbe stunde warte, ob noch jemand kommt und – wenn das nicht der fall sei, stinkesauer wieder heimgehen würde. unausgesprochen blieb auch, dass ich es für ausgesprochen unkollegial hielte, mich an meinem ersten arbeitstag ohne einarbeitung so dermaßen auflaufen zu lassen. für mich wäre das ein kündigungsgrund.

„was tun Sie, wenn einer der professoren Sie unangemessen laut und ungerecht vor anderen herunterputzt und niederbrüllt?“ - „wie gehen Sie damit um, wenn eine professorin merkt, dass Sie gerne texten und Ihnen immer öfter solche aufgaben überlässt? zusätzlich?“ - „was machen Sie, wenn dann auch die kollegin merkt, dass Sie das gut machen und neidisch wird, weil Sie bei den professoren so gut dastehen?“

solcherlei fragen ließen mich vermuten, dass es sich bei der ganzen abteilung in der tat um einen ziemlich unkollegialen haufen durchsetzungsunfähiger profilneurotiker und pädagogisch wertloser choleriker handelt. insgesamt hatte ich den eindruck, dass hier nicht eine sekretärin gesucht wurde, sondern eine konfliktmanagerin und mediatorin, die den kommunikationsstau gegen größte widerstände wieder in fluss bringen soll.

„.... und wenn die kollegin Ihnen dann auch noch textaufgaben zuschustert, weil Sie weiß, dass Sie das gut können und sie selbst macht es nicht so gerne?“ - „.... und wenn Sie so viel texten, was ja keine klassische sekretariatsaufgabe wäre – würden Sie dann nicht mehr geld haben wollen?!“ - ja wie jetzt?! ziehen die mir geld ab, wenn ich mal zwei stunden mit niederqualifiziertem fotokopieren zubringen muss?!

„.... es wird niemand mehr da sein, der Sie einarbeiten kann, wenn Sie im januar hier anfangen. wären Sie bereit, im monat vorher 'sich einzubringen' (ohne bezahlung versteht sich!) und sich das wichtigste zeigen zu lassen?“

ja. gegen jede überzeugung, dass einarbeitung zur arbeitszeit gehört: ich wäre dazu bereit gewesen, als diese frage im bewerbungsgespräch gestellt wurde. ich wollte die stelle. ich wollte arbeiten.

aber jetzt, nachdem ich mich noch einmal gut sortiert und alles revue habe passieren lassen, bin ich geradezu dankbar, dass ich diesen job in einer so staubig unkollegialen atmosphäre nicht werde machen müssen. das riecht doch geradezu nach kompetenzrangelei, respektloser unachtsamkeit, diffuser überforderung und mobbing schon im ansatz. typischer frauenjob eben. mit typisch niedrigem frauenlohn obendrein.

bei allem inneren aufruhr, übrigens, war ich nicht eine sekunde damit beschäftigt, darüber nachzudenken, ob ich diese blöde katastrophe in einer badewanne voll schampus ersäufen soll und mich gleich mit.

ich stelle also fest, dass ich über eine ganz erstaunliche resilienz verfüge. das macht mich nicht reich – aber stark. und es bereichert mein leben!


postscriptum am 17. dezember 2009:
die geschichte hat eine fortsetzung


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