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Donnerstag, 3. Mai 2012

plötzlich autistin

die mutter (wütend): „kind! du meins' immer, mer wollt' dir wat. isch komme ja jaar nit mie an disch eran [du denkst immer, man wollte dir etwas böses. ich komme gar nicht mehr an dich heran]!“
die freundin (zu besuch, ratlos): „ich fühle mich ausgeschlossen, wenn du mich alleine hier sitzen lässt und dich so in dich zurückziehst.“
ein mann (überheblich): „du bist eine komische frau!“
ein anderer mann (erleichtert): „ich halte es mit dir einfach nicht mehr aus!“
noch ein mann (gekränkt): „du sagst nie, was ist.“
der vater (vorwurfsvoll): „nun stell dich nicht immer so an, andere können das doch auch!“
. „sei doch nicht immer so empfindlich!“ (genervt)
. „du immer und deine befindlichkeiten ….“ (ungeduldig)
. „nun hab dich nicht so ….“
. „ich darf dich ja noch nicht einmal anfassen, wann ich will ….“ (beleidigt)
. „dir kann man es auch niemals recht machen ….“
. „du bist echt schrullig ….“
. „du hast eindeutig autistische züge ….“

indizien? hin-weise? be-weise? 

 
als ich vor rund zwei jahren das erste buch über hochbegabung las (andrea brackmann, hochbegabt und hochsensibel, darüber geschrieben habe ich damals in nathalies begabungsblog), kam ich zum ersten mal mit der these in berührung, dass es eine verbindung geben könnte zwischen einem hohen iq und autismus vom typ asperger.

eine 'freundin' hatte mich mit dieser 'diagnose' schon 2008 in verbindung gebracht.

im vorigen jahr stieß ich auf sabine kiefners blog „eine frau mit autismus“ - typ asperger. auch sie hochbegabt, unser iq fast gleich. ich las ihre einträge voller faszination und neugier.

ich arbeitete mich durch das internet, versuchte im wust der informationen die spreu vom weizen zu trennen, machte – mit aller gebotenen vorsicht – diverse selbsttests. die hinweise verdichteten sich.

im sommer vergangenen jahres meldete mich bei der hiesigen universitätsklinik. dort gibt es eine asperger spezial-sprechstunde.

zunächst hieß es: viele fragebögen ausfüllen und zurücksenden. dann geduldig warten. je nach dem ergebnis der fragebogenauswertungen wird man zu einem persönlichen gespräch eingeladen oder auch nicht. die warteliste ist lang. sehr lang.

im herbst erzählte ich meiner ärztin von meiner vermutung, von den fragebögen. sie kennt mich seit sechs jahren, ist neurologin und psychiaterin: „das ist völliger quatsch. Sie haben doch so viele ressourcen!“

im januar rief die uniklink mich an. es wurde ein termin zum persönlichen diagnose-gespräch vereinbart. das war heute vor drei wochen.

der herr universitätsoberarzt waren sich schnell einig. eindeutig autistin. vermutlich asperger. 'vermutlich' deswegen, weil es niemanden gibt, der eindeutige aussagen über mich in meiner kindheit machen könnte.

der schriftliche bericht ist noch nicht da. mit der mündlichen diagnose bin ich erst einmal allein gelassen. wie so oft in meinem leben.

seither versuche ich, mich neu zu sortieren und mir klarzuwerden, was das nun für mein weiteres leben bedeutet, autistin zu sein.

das etikett hat einen anderen beigeschmack. nicht mehr „frühkindlich sexuell traumatisierte kreative hochbegabte“ sondern „frühkindlich sexuell traumatisierte kreative hochbegabte autistin“.

damit bin ich vom high potential brain pathologisiert hin zur schwerbehinderten mit geistiger entwicklungsstörung.

patsch!

der kollege dr. dr. an der uniklinik widersprach der diagnose nicht.

ich war mir nicht sicher, ob ich in der nun zugewiesenen autismus-schublade wirklich bleiben möchte. zwar hatte ich die untersuchung zur abklärung selbst angestoßen, aber es wäre mir auch recht gewesen, wenn ich mit meinen „symptomen“ weiterhin unter dem spektrum „hochbegabung mit ausgeprägt hoher empfindsamkeit“ hätte segeln können.

das wäre charmanter. die autistische behinderung brauche ich nicht wirklich. das klingt so dequalifizierend.

der arzt sagte: „es gibt auch hochbegabte, die keine autisten sind. das hängt nicht automatisch zusammen.“ aha.

er sagte auch: „Sie müssen mit dieser diagnose nicht in die gosse.“ vielen dank, herr doktor. er war durchaus respektvoll.

dass ich bei meiner derzeitigen arbeitsstelle schon nach vier stunden völlig am ende meiner kräfte bin und nachmittags nichts mehr auf die reihe kriege, sondern oftmals nur noch heulend in der ecke hänge, wunderte ihn nicht.

er sagte noch: „es ist nicht selten, dass autisten vom typ asperger eine sucht entwickeln, um den anforderungen der 'neurotypischen' welt gerecht werden zu können.“ dieser arzt ist eindeutig ein neurotyp. ich erlebte die begegnung mit ihm übrigens nicht als unangenehm, alles in allem.

andererseits: diese diagnose entschuldigt nichts, erklärt aber manches. womöglich nicht alles, aber vieles. einzelne facetten meines in-der-welt-seins, wie es nun einmal ist. meine schrullen zum beispiel. angefangen vom immer gleichen ritual des kaffeekochens mit der caffetiera bis hin zum ständigen gefühl, nicht von dieser welt zu sein, nirgends dazuzugehören, mich wie unter einer glasglocke zu bewegen.

was ist und was wird, das gilt es nun herauszufinden. oder einen teil davon. es bleibt spannend.


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