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Mittwoch, 13. Oktober 2010

kaffeehaus

das tal versinkt im herbstnebel, mein büro ist heute völlig aussichtslos. nicht mal mehr die kirche ist noch im dorf.


was bin ich da froh, dass ich - gestern erst! – mir den luxus einer sonnigen kaffeehaussitzung gegönnt habe. für viele menschen ist das nichts besonderes, die machen das jeden tag. früher war das bei mir nicht anders. die lebensumstände haben sich geändert.

wenn eine am prekären rand der gesellschaft lebt, will jedes ‚die wohnung verlassen‘ sehr gut überlegt und geplant sein, denn es ist (fast) immer mit ‚geld ausgeben‘ verbunden: „wenn ich heute da und da hinfahre, reicht das benzin im tank dann in der kommenden woche noch für den arztbesuch in der stadt?“

ich hasse diese erbsenzählergedanken, aber ich muss sie mir machen. auf dem land sind die wege weit, ich habe nicht immer die kraft, alles mit dem fahrrad zu erledigen.

[.... genau an dieser stelle muss ich beim ‚schreiben im nebel‘ jetzt sehr sehr aufpassen, dass mir nicht nur jämmerliche gedanken und „esistallessoanstrengendleerundlieblosinmeinemleben“-sätze in die tastatur wollen. das ist schrecklich! vier mal schon habe ich neu angefangen mit meinem heutigen text]

also noch mal von vorne:

gestern war ein milder sonniger herbsttag. ich war mit dem rad in der großen stadt zu einem arzttermin. frühmorgens losgeradelt bei temperaturen knapp über null (auf den autoscheiben war noch frost), eingepackt in handschuhe, schal und mütze, konnte ich am mittag ohne jacke draußen bei fast 20 grad in der sonne sitzen. wonne!

kaffeehaussitzungen sind für mich selten geworden. ich tue dann so, als wäre ich im urlaub, nehme mein notizbuch und schreibe auf, was ich sehe, was ich denke.... nix literarisches, eher geschriebene skizzen. so, wie andere leute fotografieren oder bilder malen.

das 'schreiben in cafés' begleitet mich seit mehr als dreißig jahren. immer, wenn ich alleine unterwegs bin. viele meiner tagebücher sind an kaffeehaustischen entstanden. wenn ich das heute noch einmal lese, erinnere ich mich an die schönen aussichten von damals. und an das strahlende lächeln charmanter kellner, die mir den milchkaffee servierten, als wäre es der hauptgewinn im lotto.

wenn ich mit begleitung im café sitze, dann gucke ich gern leute und lästere übers volk. das hat mir mein arzt verordnet. ich soll auf keinen fall immer nur probleme wälzen und psychologisieren. „Das ist Gift für die Seele! Setzen Sie sich mit der besten Freundin auf einen Ausflugsdampfer, ziehen sie über die anderen Passagiere her und machen sich einen lustigen Nachmittag!“ das hat der gesagt. damals, in berlin.

ohne begleitung ist das schwer möglich: ich bin zu schüchtern, um laute selbstgespräche zu führen. also schreibe ich alles auf. das ist sehr erholsam für mein herz, ein kurzes ausruhen vom kargen leben im prekariat. tiefes aufatmen von der oft schwierigen organisation des alltags.

kaffeehaussitzungen zählen zu den besonderen maßnahmen. ich versuche, mir das so oft wie möglich zu schenken: der kleine luxus eines milchkaffees auf der sonnenseite gehört zu meinen lebensnotwendigkeiten. auch wenn die aussichten nicht mehr so schön sind und das lächeln der kellner gerade noch für einen trostpreis reicht.


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