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Mittwoch, 9. November 2011

begegnungen

notizen aus dem landeskrankenhaus . 3

Der eine sucht einen Geburtshelfer für seine Gedanken, 
der andre einen, dem er helfen kann: so entsteht ein gutes Gespräch. 
(F. Nietzsche)

das war einer der besseren texte, die in mein poesiealbum geschrieben wurden. er kam von meiner geliebten kunstlehrerin – und begleitet mich bis heute. besonders in therapeutischen situationen kommt er mir in den sinn. meine tage in der klinik waren eine solche - auch wenn ich dort niemals einer therapeutin unter vier augen begegnet bin.


anderer begegnungen hingegen waren viele: mitpatientInnen, pflegepersonal. wer wohnte mit mir im kuckucksnest? solche und solche: wie im richtigen leben. und wie im richtigen leben versucht man, gleichgesinnte mit ähnlicher wellenlänge zu finden – um sicht nicht ständig vorzukommen wie eine wahnsinnige minderheit, die aus nur einer einzigen person besteht: man selbst.

wen mochte ich? wen mochte ich nicht? wem sah ich in die augen? wem hörte ich zu? wem stellte ich fragen? bei wem blieb ich stehen, an wem lief ich vorbei? bei genauerem hinsehen habe ich dabei viel über mich selbst gelernt. aus mir angenehmen begegnungen ebenso wie aus den eher unangenehmen.


mr. wang*
der asiatisch aussehende herr wang fiel mir auf, weil er oft alleine in der stationsküche saß, direkt neben dem radio. er hörte den deutschlandfunk. stundenlang. sein schulterlanges schwarzhaar hatte er im nacken zu einem lockeren pferdeschwanz gebunden. er war sehr für sich, gleichzeitig hellwach. die dunklen augen blitzten mal melancholisch, mal vergnügt. eines morgens hatte er eines der essenstabletts vor sich auf dem küchentisch, darauf ein gutes dutzend verschiedener pilzsorten: „die habe ich alle heute früh im garten ums haus herum gefunden.“ hoch konzentriert forschte er in einem dicken pilzbestimmungsbuch nach der identifikation seiner funde. „ich übe für meine kinder.“ sein fließendes deutsch war akzentfrei. wir sprachen lange und sehr philosophisch, hatten einen wunderbaren austausch – tief und humorvoll. sein schöner mund lachte gern. über unsere diagnosen sprachen wir nicht. er war in der achten wochen dort, kurz vor der entlassung: „ich hätte mir die zeit hier auch sparen können.“ wann immer wir uns in den fluren begegneten oder im aufenthaltsraum, zwinkerten wir uns zu.


frau taxilan*
frau taxilan nannte sich selbst so, weil das 'ihr' medikament war. sie wirkte oft desorientiert und etwas schläfrig. „die geben mir das, damit ich meine gedanken besser sortieren kann. ja. das haben die ärzte so gesagt. die gedanken besser sortieren.“ dabei schaute sie unsicher und kicherte gleichzeitig in die runde. „und was mache ich? ich plappere nur noch unsortiert vor mich hin, der letzte scheiß purzelt mir aus dem mund.“ selbst mutter von drei kindern, wirkte sie seltsam kindlich, wunderschön in ihrer verletzlichkeit. „die sind jetzt allein zu hause, die wollen mich nicht zurück. ich bin ja auch zu nichts nütze.“ ich mochte sie sehr. wann immer möglich, setzte ich mich bei den mahlzeiten in ihre nähe. ihre traurige heiterkeit tröstete mich. ich hätte sie gern in den arm genommen.


frau müllermayerschmitz*
es gibt sie auf jeder station, glaube ich: die altgediente krankenschwester, seit anbeginn in genau dieser klinik beschäftigt. mit allen wasser gewaschen, kompetent, souverän – und mensch geblieben. frau müllermayerschmitz war die geborene pflegerin, der personifizierte krankenengel und sah auch so aus: lange blonde locken, immer ein warmherziges lächeln im gesicht. sie hatte für alles ein ohr, wimmelte einen nie unfreundlich ab. wenn sie doch einmal ein „nein das geht jetzt nicht“ von sich gab, dann klang selbst das wie ein virtuelle kuscheldecke. sie war mitfühlend, ohne selbst mitzuleiden. der fels in der brandung depressiver tränenströme, ihre anwesenheit ein geschenk. sie sagte „wir wollen, dass Sie sich hier wohl fühlen.“ das habe ich ihr aufs wort geglaubt – auch wenn es mir letztlich nicht gelungen ist.


frau zickigzackig*
auch eine frau zickigzackig gibt es wohl im pflegeteam jeder station: für frau zickigzackig sind die patientInnen nicht der inhalt ihrer arbeit, sondern unangenehme störenfriede, die reinste belästigung. sie wirkt überfordert, kennt nur schema F. wehe, die patientin passt da nicht hinein. sie brachte es fertig, mich mitten im abendessen vor versammelter patientInnenschar lautstark und quer durch den saal für etwas runterzuputzen, das gar nicht in meiner verantwortung lag. als ich versuchte, den irrtum aufzuklären, blaffte sie nur „darüber diskutiere ich nicht“, machte auf dem absatz kehrt und stapfte zurück in ihren glaskasten. so etwas lasse ich nicht auf mir sitzen, so lasse ich mich nicht behandeln. mag sein, ich bin depressiv. aber ich bin weder debil noch delinquent. ich war verletzt und wütend, ging ihr nach und wollte die angelegenheit gerne klären. frau zickigzackig blaffte weiter „geht es Ihnen nicht gut? wollen Sie eine tablette?“ ruhiges reden war nicht möglich. ganz egal, ob ich nun einen termin verpasst hatte oder nicht (ich hatte nicht) – der ton macht die musik, und der ihre war nicht angemessen. frau zickigzackig wurde immer patziger: „na gut, wenn sie unbedingt wollen, dann entschuldige ich mich eben.“ auch das ist typisch: frau zickigzackig bittet nicht um entschuldigung, sondern entschuldigt sich gleich selbst. gerne auch mal in verbindung mit dem imperativ: „Sie müssen schon entschuldigen!“ ich muss gar nichts. da beisst sie bei mir auf granit.


signore rossi*
eine letzte freundliche begegnung hatte ich beim verlassen der klinik, das gepäck schon geschultert. der kleine herr rossi sah mich mit großen augen an: „was denn? gehst du schon wieder? du bist doch gerade erst gekommen.“ ja. ich gehe. „das hätte ich mal besser auch gleich am anfang gemacht. ich bin jetzt zwei monate hier, und das hat überhaupt nichts gebracht. heute hatte ich mein abschlussgespräch, nächste woche gehe ich heim. weil ich nicht schlafen konnte, haben sie mir ein medikament gegeben, die ganze zeit. ich habe am anfang drei mal nachgefragt, ob das auch nicht süchtig macht. 'neinnein das macht nicht abhängig, seien Sie ganz beruhigt.' aber heute hat der arzt sich verplappert: 'den entzug von dem schlafmitt... … äääääääääh …. das medikament können sie ja dann zu hause langsam absetzen.' du machst es ganz richtig, wenn du wieder gehst.“ wir wünschten uns gegenseitig glück und alles gute. wir konnten es beide gebrauchen.


*ps
alle namen sind frei erfunden.
die wahren abenteuer sind sowieso alle nur im kopf.


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