paulownia tree in winter |
ausgerechnet an einem so farblosen tag liegt ein brief von der rentenversicherung im postkasten. wie es mir denn ergangen sei in und nach der reha von juli bis september? vierzehn seiten fragebogen soll ich ausfüllen, natürlich freiwillig und anonym „unter einbeziehung von bereits über mich vorliegenden daten“. aha.
ausgerechnet von fragebögen habe ich leider die nase voll. erst recht seit meinen sechs wochen klinikaufenthalt im sommer im schönen heiligendamm an der malerischen ostostsee.
dort habe ich nämlich auch zig-seitenweise fragebögen zum ausfüllen gekriegt. kleinst gedruckt. von meiner ärztin war mir versichert worden, dass ich all die vielen fragen nur beantworten solle, damit sie mir besser helfen könne. ich war nämlich skeptisch und hatte bedenken angemeldet, dass die vielen persönlichen daten und aussagen dann unangemessenerweise bei der rentenversicherung landen könnten.
die antwort: wenn ich die fragebögen nicht ausfüllte, würde man mich zwar nicht wegen mangelnder kooperation nach hause schicken, aber man könne dann eben auch nicht so gut auf meine individuellen gesundheitlichen probleme eingehen. aha.
ich wollte geholfen werden und füllte aus so gut ich konnte. natürlich nicht, ohne ein paar antworten auf viel zu private fragen ein bißchen zu frisieren. manche sachen gehen einfach niemanden etwas an und hatten auch mit meiner diagnose nichts zu tun. etwa, ob ich rote unterwäsche bevorzuge oder schwarze oder weiße (diese frage gab es nicht – aber so ähnliche). bei solchen fragen darf man schummeln .
die folge meiner vertrauensseligen kooperation war, dass man mir dann doch nicht so richtig helfen konnte. statt dessen wurde eine große menge willkürlich zusammengetragener und für den erfolg der reha absolut unerheblicher sozialdaten über mich an die rentenversicherung weitergegeben.
zum beispiel hatte ich meiner klinikärztin mal im vertrauen erzählt, dass ich meine jüngere schwester für ein intrigantes biest halte und dass ich es schon als kleines mädchen sehr schwierig fand, mit ihr auszukommen.
jetzt steht genau das wörtlich im abschlussbericht der klinik an die rentenversicherung. juchhei. wenn es denn der gesundheitsfindung dient? stasi-esk! gesünder fühle ich mich dadurch nicht. die diskrepanz zwischen meinem persönlichen erleben der reha und dem, was im abschlussbericht dargestellt wird, ist erheblich. es ist fast, als wäre ich nicht dabei gewesen.
den abschlussbericht übrigens habe ich inzwischen mit mehreren ärztInnen und anderen vertrauensmenschen besprochen. sie fanden die sozialdatensammelwut fragwürdig, die behandlung während der reha beschämend inkompetent und nicht auf der höhe der zeit. keinesfalls „individuell, ganzheitlich, der mensch immer im mittelpunkt“ - wie es im bunten hochglanzprospekt und auf der webseite der klinik hieß.
viel mehr ging es darum, sich ins klinikkonzept einzupassen und den standardisierten ablauf nicht zu stören. das könnte daran liegen, dass hinter der klinik eine gewinnorientierte GmbH steckt. individuelle behandlung bringt natürlich das qualitätsmanagement durcheinander. das ist nicht im sinne der teilhaber.
immerhin waren die mitarbeiterInnen – bis auf wenige ausnahmen – alle sehr freundlich. ich möchte auch niemandem die kompetenz absprechen. wenn mir aber die chefärztin vor allem wegen ihrer peeptoe highheels aus mausgrauem wildleder in erinnerung geblieben ist, dann liegt das sicher nicht nur an meiner selektiven wahrnehmung. die schuhe waren übrigens weder von manolo blahnik noch von chie mihara.
ich solle eine erwerbsunfähigkeitsrente beantragen und eine umschulung machen, hatte sie mir während der knapp zehnminütigen chefarztvisite in der vierten woche empfohlen. damit ich „endlich mal durchstarten“ könne. dabei sah sie mich aufmunternd an, als ob ich debil wäre.
welche informationen braucht die rentenversicherung jetzt noch? die klinik hat ihnen doch schon alles wissenswerte mitgeteilt über mich und noch ein paar wissensunwerte zugaben obendrein.
ich habe den eindruck, die spionieren mich jetzt umgekehrt genau so aus wie vorher die klinik. wie das essen war, lautet eine der fragen. ob viele behandlungen ausfielen? welche behandlungen ich wie oft erhalten hätte? ob ich‘s gut fand? ob‘s geholfen hat?
ich weiß nicht, was ich antworten soll. wie immer, wenn ich standardisierte multiple-choice fragebögen ausfüllen soll, habe ich das gefühl, gar nicht gemeint zu sein. es ist, als ob fragen und antworten für jemand anders gemacht wären.
kaum eine frage, die ich ohne anmerkung und ausführliche erklärung beantworten möchte. sonst wird das wieder missverstanden, so pauschal und beliebig interpretierbar wie die formulierungen sind.
ganz unscheinbar finde ich ziemlich weit hinten im kleingedruckten der fragebogenausfüllanweisung den satz: „aus einer teilnahme oder nichtteilnahme entstehen Ihnen weder vorteile noch nachteile.“ die meinen den fragebogen, nicht die reha. „falls Sie nicht teilnehmen möchten, müssen Sie nichts unternehmen.“
genau das werde ich heute tun. in aller ruhe und ausführlichkeit im letzten novembernebel stochern und „nichts unternehmen“.
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