manchmal finde ich es beruhigend, dass es dinge gibt, die sich nicht verändern, die jahr um jahr gleich bleiben. kleine rituale im alltagswirbel, die mir halt geben. eines dieser rituale ist, tatsächlich, dass ich mir jahr für jahr alle drei teile von sissi anschaue, wenn meine zeit es erlaubt. die kaiserin von österreich wird in meiner vorstellung immer jung und schön bleiben, so wie sie es in meiner kindheit war.
als kleines mädchen liebte ich diese filme so sehr, weil es für mich so unvorstellbar schön war, wie sehr diese frau geliebt wurde. zumindest sah es in den filmen so aus. sie hatte eine mutter, die für sie sorgte. sie hatte einen vater, mit dem sie sprechen konnte. sie hatte geschwister, mit denen sie lachen konnte. und sie hatte sogar einen mann, der ihr sagte „ich liebe dich“. unfassbar – für mich war schon damals klar, dass es all das nur im märchen geben konnte. oder im film eben.
bei uns wurde nicht gelacht. wenn ich etwas sagte, das mir wichtig war, dann hörte ich die mutter fauchen und keifen: „kind, do bess verdötsch!“ oder „do häss ene katsch em kappes“. der vater ignorierte mich bestenfalls. hatte er publikum, dann machte er sich über mich lustig und ließ keine gelegenheit aus, mich vor anderen bloßzustellen.
damals liebte ich es sehr, mich in vaters großen bademantel zu hüllen. der bademantel war schwer und glänzend glatt, aus dunkelgrünem velourfrottee mit einem schalkragen und dunkelroten streifen. ich liebte diesen bademantel so sehr, weil er nach vater roch, nach großem starken mann – und weil ich mich sehr sicher und behütet fühlte, wenn ich ihn trug.
der saum war viel zu lang war für mich, er kringelte sich um meine füße wie ein wärmendes pelztier, ich zog ihn hinter mir her wie eine schleppe. um nicht zu stolpern über diesen saum, ging ich sehr gerade, sehr aufrecht. ich fühlte mich wie eine kaiserin, ich war sissi vor ihrer krönung zur königin von ungarn.
der alte bademantel hatte für mich eine magische bedeutung: so lange ich ihn an hatte, fühlte ich mich stark, geliebt und bewundert. wenn ich den bademantel trug – immer nur heimlich, solange die eltern aus dem haus waren, denn sonst wären sie wieder über mich hergezogen – dann ging die macht des vaters durch seinen bademantel auf mich über, und ER erschien mir weniger furcht einflößend.
so schritt ich durch unsere dunkle, enge mietwohnung, auf und ab und hin und her, hoch erhobenen hauptes, mit geradem blick und ohne angst. ich hielt hof vor imaginären untertanen und nahm bescheiden ihre huldigung entgegen. ich stellte mir vor, wie es wäre, geliebt und respektiert zu werden.
die insignien meiner macht versenkte ich tief in den großen taschen meines riesigen krönungsmantels: eine murmel, mein feinstes spitzentaschentuch und die kaputte barbie-imitatpuppe.
eines tages war „mein“ bademantel verschwunden. am bettende des vaters lag ein anderer, ein neu gekaufter, völlig belangloser versandhausbademantel mit kapuze. ich war sissi ohne kleid, meiner insignien beraubt.
irgendwann einmal erfuhr ich von der mutter, dass sie „den alten hund“ - wie sie abfällig zu sagen pflegte über unansehnlich gewordene dinge, die ihr lange treue dienste geleistet hatten - mit einem adventspäckchen zu einer alten freundin in die DDR geschickt hatte. ich war entsetzt, aber ich sagte nichts. sie hatte das königreich meiner kindheit zerstört.
wie ich schon vor zwei tagen schrieb, bin ich heute kaiserin in meinem eigenen reich, so gut es eben geht. leider sind die schatten von damals sehr hartnäckig. bis heute fällt es mir schwer, zu glauben, dass ich ein recht darauf habe, ungestraft die zu werden und zu sein, die ich wirklich bin.
dann sitze ich wie jetzt - gehüllt in meinen aktuellen lieblingsbademantel aus kaiserlichem purpurfrottee, aus dem die katzen zu lebzeiten wohlig tatzelnd unzählige fäden zogen - vor meinem computer und denke, dass ich unbedingt bis mitternacht fertig sein muss mit diesem text. gelingt mir das nicht, löst sich der ganze spuk in luft auf: mit dem zwölften glockenschlag, da bin ich mir sicher! ist der zauber vorbei! dann wird mein seidenes nachtkleid zum aschefleckigen küchenkittel, das notebook zum kürbis - und die maus wird zur maus!
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Besondere Ereignisse erfordern besondere Maßnahmen. Denn irgendwas is' immer ....
[über den Umgang mit Katzen & Vermietern - und andere wichtige Dinge im Leben einer Frau]
Achtung. Achtung. Achtung.
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Januar 2021
Das Büro für besondere Maßnahmen ist ab sofort erreichbar auf mojour.de
Nach und nach werden alte Beiträge – ggf. aktualisiert und überarbeitet – dorthin umziehen. Bitte folgen ... :-)