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Mittwoch, 11. Mai 2011

in der blauen bar

eine erfundene memoire

lässig schiebt sie sich auf einen hocker, lehnt sich an die theke und grinst erwartungsvoll. angelos, ihr lieblingskellner, hat sie nicht kommen sehen. er steht mit dem rücken zu ihr und ist gerade damit beschäftigt, einen berg frischen joghurt auf ein müsli zu türmen. liebevoll verziert er die portion mit weintrauben, bananenscheiben und schokostückchen. dann krönt er das luxusfrühstück mit einer goldgelben honigspirale.

In the Blue Bar, πλατεία σαπφο, 1986

er ist so konzentriert in seiner arbeit, dass er anna noch nicht einmal im spiegel bemerkt. anna liebt es, ihm bei der arbeit zuzusehen. sie hält das für einen perfekten tagesbeginn: angelos lächelt sanft vor sich hin, jeder handgriff sitzt, er tanzt sein persönliches müsli-ballet. die blue bar ist berühmt für ihr frühstücksmüsli mit sahnejoghurt und orangenblütenhonig. manch ein tourist kommt nur deswegen hierher.

da sind sie alle gleich, die deutschen touristen, denkt anna: otto dumpfbacke will am ballermann auf mallorca sein wiener schnitzel, und emma rucksacktouristin will mitten in der ägäis ihr biomüsli. gehupft wie gesprungen: hauptsache, in der fremde ist es nicht allzu fremd, sonst fühlen wir uns nicht richtig wohl.

angelos ist fertig mit seinem werk, dreht sich um und strahlt sie an: „guten morgen du schöne. was darf es sein?“ anna schluckt. dieser mann schafft es noch nach mehr als fünfundzwanzig jahren, sie mit einem einzigen blick zu verzaubern. angelos, der engel, strahlt nicht nur mit den augen, nicht nur sein mund lächelt. dieser mann ist glücklich im leben, und davon möchte er aller welt etwas abgeben.

„einen milchkaffee bitte, extra stark.“ strahlt anna zurück. angelos hätte nicht fragen brauchen. so lange kennen sie sich. aber es gehört zum ritual. „möchtest du ein glas wasser dazu?“ auch das fragte er sie jedes mal. er hatte ihr einmal erzählt, dass er sich hüte, seine gäste in schubladen zu stecken. es sei das geheimnis seines erfolgs, jeden gast auch beim hundertsten mal noch so zu behandeln, als ob er gerade eben die blue bar zum ersten mal betreten hätte. angelos verschenkte aufmerksamkeit und respekt. seine gäste belohnten ihn mit treue.

so vieles hatte sich geändert in dem kleinen dorf direkt am meer: skala eressos auf der insel lesbos. mitte der achtziger jahre hatte sie diesen strand für sich entdeckt; den feinen sand, der doch grob genug war, um nicht in allen ritzen lästig festzusitzen; die türkisblaue, kristallklare bucht mit der kleinen vorgelagerten insel, der all ihre sehnsucht galt.

jetzt bin ich wieder hier. nach all den jahren. anna seufzt und nippt am heißen milchkaffee. der ist so, wie er sein soll. das ist beruhigend, wenn nach so vielen jahren nicht nur fremde sie empfängt. so vieles ist anders. hat sich verändert. nicht nur hier. auch in annas leben.

aber die blue bar ist geblieben und lebt. angelos strahlt wie eh und je, ist nur ein bißchen runder geworden. noch mehr lachfalten. mit einem sanften stubser holt er anna aus ihren gedanken zurück ins hier und jetzt: „schau mal, da kommt miranda. sie hat käsekuchen gebacken. magst du ein stück?“

„unbedingt. ein großes! kalimera miranda, ti kanis?!“ anna lacht. nie hätte sie erwartet, auf einer griechischen insel kurz vor der türkischen küste den leckersten käsekuchen ihres lebens zu essen.

σκάλα ερεσού, λέσβος / μυτιληνη 1986

miranda, die wunderbare, war damals angelos freundin gewesen und hatte ihn in der blue bar unterstützt. irgendwann zwischendurch hatte sie ein paar jahre in deutschland verbracht und eine ausbildung zur konditorin gemacht. in einem fünf-sterne-haus. typisch miranda. dachte anna. sie kennt keine kompromisse und will immer nur das beste. das war schon damals so. ihr herzlicher, zupackender ehrgeiz hatte die blue bar wirtschaftlich stabil gemacht. jetzt stehen ihre torten und pasteten in allen reiseführern.

„und ich darfs essen...“ der käsekuchen ist köstlich, anna grinst vergnügt. hinter der theke stehen miranda und angelos arm in arm und strahlen sie an.

„weißt du noch, wie dein flugzeug nicht starten konnte, weil so ein schrecklicher gewittersturm war, damals, anfang mai? und wie du mit dem taxi zurückgekommen bist, den ganzen weiten weg vom flughafen ans andere ende der insel hierher zu uns nach eressos mitten in der nacht? wir haben uns sehr darüber gefreut, dich noch ein weilchen um uns zu haben!“

miranda freut sich wirklich, mich wiederzusehen. denkt anna und erinnert sich an dieses schöne frühjahr. fast zwei monate hatte sie damals hier verbracht mit einer übersetzung im gepäck: vormittags dicke wörterbücher und japanische lyrik auf der terrasse des ferienhauses, nachmittags strandleben und abends die bar. der verpasste flug hatte ihr eine aufenthaltsverlängerung von zwei wochen beschert.

anna schaut auf von milchkaffee und käsekuchen, blickt in die strahlenden gesichter und fragt sich wehmütig „warum eigentlich bin ich damals nicht für immer hier geblieben?“

im memoriam blue bar, plateia sappho, skala eressos (mytilini/lesvos), 1986


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