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Dienstag, 16. März 2010

besondere maßnahme no IX: frauen und gedöns

alle jahre wieder: dieselbe prozedur. beim frauenarzt. die routineuntersuchung. die krebsvorsorge. ich hasse es. es wühlt mich auf. es triggert fiese alte erinnerungen. ich will nicht auf den folterstuhl.



ich geh‘ doch immer wieder hin. jahr für jahr. seit mehr als drei jahrzehnten. weil frau das eben macht. weil es sein muss. oft genug habe ich den arzt, die ärztin gewechselt. zum einen, weil ich sowieso ständig umgezogen bin. zum anderen, weil es immer wieder unangenehm war. ich bin vom regen in die traufe geflohen.

heute war das wieder so weit. den termin hatte ich schon vor wochen ausgemacht. es muss ja wieder sein. das jahr ist rum. die vorsorge. ich hasse es. es wühlt mich auf.

seit tagen hatte ich schlechte laune. angst. tränen. schon der gedanke an den stuhl, das spekulum, den ultraschall …. panik. atemnot. tränen. wut. schlaflose nächte. zähneknirschen. alles auf einmal. ich ertrag das schlecht. wohin nur mit all dem schmerz.

dabei ist meine jetzige ärztin „eigentlich“ ganz nett. nee, nicht nur „eigentlich“. ganz in echt: sie ist eine gute. respektvolle. nicht so eine herrische, die keinen widerspruch duldet. eine, die zuhört. eine, die fragen stellt und auch antworten hören will. eine, die nach meinem leben fragt und nicht nur nach den fortpflanzungsorganen. eine, die nicht einfach bloß pillen verschreibt. derzeit empfiehlt sie mir was pflanzliches, für die wechseljahresphänomene. sie kennt meine finanzielle situation und schaut mitfühlend „sie müssen es leider selbst bezahlen. ich weiß auch nicht, warum – aber die guten sachen gibt es schon lange nicht mehr auf rezept.“

seit vielen jahren schon habe ich tumore in meinem gebärmütterchen. myome. lästige dinger, die viel kraft kosten. nein, es ist kein krebs, nix ‚bösartiges‘. aber ‚gutmütig‘ sind die auch nicht. nur dumme menschen sprechen von ‚gutartigen‘ tumoren. welch ein trillefitt. so ein tumor tut nix gutes. nie nicht.

mein größter tumor ist übertennisballgroß. er und seine kleineren kollegen verstärken die blutung und drücken auf die blase. belasten den kinderpalast. einmal habe ich mich operieren lassen. fast zehn jahre her. sie sind wiedergekommen. viel schmerz für nichts. jetzt hoffen wir, dass sie einfach verhungern, wenn mein hormonladen geschlossen wird.

damals habe ich sehr dafür gekämpft, dass mein organ der mitte mir erhalten blieb. dass nur die knuddel entfernt werden. es war wohl eine ziemliche bastelarbeit für die operateurin. sie hat meinen wunsch respektiert. ich bin ihr sehr dankbar.

andere gynäkologen-kollegen sahen das anders: „die brauchen sie doch sowieso nicht mehr, oder wollen sie etwa noch kinder? die kann man einfach herausschrauben.“ meine mitte? mein einziges ganz und gar symmetrisches organ? herausschrauben? männer!

einmal war ich bei einem frauenarzt, ist schon länger her. das war noch in berlin, spätere achtziger jahre. mitten in der untersuchung. steht er so zwischen meinen zwangsgeöffneten beinen. sein ding (bekleidet) in genau gleicher höhe wie meines (unbekleidet). und fragt mich „haben Sie orgasmusprobleme?“ grade so, als ob er mir auf der stelle hätte abhilfe schaffen wollen.

ich war viel zu überrascht und entsetzt, als dass ich irgend etwas gescheites hätte sagen können. das war mir peinlich. sah ich etwa so aus? ich habe mich geschämt. wie kam der dazu, mich so was zu fragen? wollte er seine "medizin" loswerden? ich habe die frage natürlich verneint - und bin nie wieder hingegangen.

später habe ich noch oft an diese situation gedacht und mir viele passende schlagfertige antworten überlegt. ich hätte vielleicht kurz nachdenken und dann sagen können „normalerweise nicht. nur, wenn ein mann dabei ist.“ seitdem ich die antwort parat habe, bin ich so etwas doofes von einem mann nie wieder gefragt worden.

wie ich da heute bei meiner ärztin saß, mit angstschweiß und herzrasen vor der drohenden untersuchung, höre ich mich plötzlich sagen, wie sehr mich diese gynäkologische situation belastet. dass ich diese untersuchung heute auf keinen fall will. weder abstrich noch myomskontrolle. will nicht auf den stuhl, will mich nicht auseinanderreißen und auch nix in mich reinstecken lassen.

sie schaut mich überrascht an und kriegt den mund nicht mehr zu. ich erzähle, dass mir das letzte mal noch in böser erinnerung ist. wie schlecht es mir danach ging, weil immer alles wieder hochkommt. dass ich dann zu selbstverletzendem verhalten neige, weil ich nicht weiß, wie ich sonst damit umgehen soll.

sie guckt immer noch. ich bin unsicher. ich weine und erzähle, dass es mich viele teure therapiestunden gekostet hat, damit ich das jetzt sagen kann. wie froh ich bin, dass es raus ist. dass ich weiß, dass sie auch nur ihre arbeit macht und dass sie nix dafür kann, wenn es mich jedes mal so beutelt.

da spricht sie: „aber Sie können ja auch nichts dafür. es ist gut, dass Sie das gesagt haben. es ist gut, dass sie für sich sorgen. darauf können Sie stolz sein.“ nun bin ich es, die den mund nicht mehr zukriegt. was ist das denn!? keinerlei vorwürfe, dass es verantwortungslos sei, nicht zur vorsorge zu gehen? statt dessen ermunterung, weiterhin von meinem selbstbestimmungsrecht auf körperliche unversehrtheit gebrauch zu machen: „sie müssen nicht herkommen, wenn sie nicht wollen.“ ich glaube es kaum. sie meint das ganz ernst. bleibt freundlich und respektvoll:

dann fragt sie nach meiner arbeit. ich berichte von meinem schlecht bezahlten fastvollzeitjob, sie schimpft auf manager, die fürs fastnixtun die millionen absahnen – und plötzlich unterhalten wir uns darüber, dass in deutschland so schrecklich viel so schrecklich schief läuft. seit wann das angefangen hat, wie es gekommen ist, und dass es immer schlimmer wird. immer unmenschlicher. immer ungerechter. sie sagt „ich versteh‘ das nicht, verstehen Sie?“ ich bin sehr dankbar, dass sie politisch denkt. dass sie nicht nur hormone und honorarabrechnungen im kopf hat.

dann verabschieden wir uns. sie hat mich nicht untersucht. sie sagt noch einmal, wie gut und wichtig sie es findet, dass es mir gelungen ist, meine grenze zu setzen.

die tränen, die mir jetzt fließen, sind tränen der erleichterung. ich bin ein großes stück geheilt heute und fühle mich viel gesünder als vor dem arztbesuch. so sollte es sein. das ist genau das, was eine gute ärztin ausmacht.


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