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Sonntag, 28. Februar 2010

ritual* no 1: sonntagsfrühstück

es hat mal einen menschen gegeben, der hat mir ins gesicht gesagt, dass er mich schrullig findet. irgendwie. das hat mich ein bißchen irritiert.

ein blick in den duden erklärt schrullen als „wunderliche angewohnheiten, marotten, ticks, spleens oder macken“. oder gar: „(oft von älteren menschen) befremdende, meist lächerlich wirkende angewohnheiten“.


ähem. bin ich ein ‚älterer mensch‘? das ist relativ und kommt auf die bezugsperson an. klar, ich bin älter als meine jüngere schwester und noch ne ganze menge anderer leute. aber das war schon immer so. trotzdem hätte ich mich als zweijährige sicher nicht als ‚älterer mensch‘ bezeichnet. vielleicht ist man ein älterer mensch, wenn man älter ist als die hälfte der bevölkerung?

das weibliche durchschnittsalter in deutschland liegt bei 45,2 jahren. tja. da bin ich jenseits. definitiv. ich muss mich wohl damit abfinden: ich bin eine alternde frau. das kann jeder passieren.

leider habe ich damals nicht weiter nachgefragt, und deshalb ist mir bis heute unklar, was derjenige mit dem prädikat „schrullig“ genau gemeint hat. vielleicht hatte ich angst vor der antwort. wir waren danach auch nicht mehr sehr lange befreundet.

wollte er sagen, dass ich schrullen habe? oder wollte er sagen, dass ich eine schrulle sei? haben oder sein - das ist die frage! auch hier:

schrullen haben, kann nämlich auch bedeuten, dass man „tolle einfälle“ hat, also gute ideen. geht aufs niederdeutsche zurück. dann wäre es ein nettes kompliment gewesen. ich denke jedoch, derjenige war des niederdeutschen nicht mächtig. er war eher niederträchtig.

deswegen befürchte ich fast, er wollte mir unterstellen, dass ich eine schrulle** sei, und das ist nun wiederum etwas ganz gemeines, in männeraugen zumindest: „die bezeichnung für eine ältere, eigensinnige frau mit einer abseits der norm liegenden persönlichkeit und charaktereigenschaften, die im allgemeinen als seltsam oder verwirrt bis leicht verrückt angesehen werden“ - sagt das wikiwörterbuch. madonna!

wenn ich mir diese definition aber mal auf der zunge zergehen lasse, so wort für wort …. dann stelle ich fest, wie sich mir mehr und mehr ein verschmittstes grinsen im gesichte breit macht. dass ich älter bin, hatten wir ja oben schon geklärt. dazu eigensinnig? nicht mainstream? außergewöhnlich, von mir aus auch ‚leicht verrückt‘? na, immer her damit! mit dem größten vergnügen oute ich mich hier als schrullentrulla!

nachdem das also mal raus ist, kann ich jetzt - in verbindung mit meinen schrulligen angewohnheiten – endlich zu meinem eigentlichen sonntagsthema kommen:

was andere vielleicht ‚schrullig‘ nennen, das sind für mich ‚rituale‘. also sachen, die ich immer wieder tue auf immer die gleiche art und weise, und das schon seit vielen vielen jahren. diese dinge geben mir halt im leben, sie strukturieren meinen alltag. deswegen sind sie mir wichtig, lieb und teuer. ich muss nicht jedes mal neu drüber nachdenken, ob ich was wann wie warum mache: ich mach‘s einfach, weil ich‘s so mache.

mein sonntagsfrühstück zum beispiel. das gibt es seit meiner kindheit. es ist vielleicht das einzig schöne, was ich damals hatte und das ich mir in mein erwachsenenleben gerettet habe. sonntags gibt es bei mir "eier mit speck auf toast". fast immer. regelmäßig. toastbrot deshalb, weil die bäckerin damals sonntags noch nicht geöffnet hatte. frische brötchen gab es bei uns nur samstags. und sonntags eben toastbrot. aus dem altmodischen toaster, der an den seiten klappen hat wie flügel. da steckt man die toastscheiben rein. wo das toastbrot drin anbrennt, wenn man es nicht rechtzeitig wendet und rausholt. das hüpft nicht von alleine.

diesen toaster meiner kindheit besitze ich noch. er funktioniert bestens. sonntag um sonntag. ich habe ihn all die jahre gut gehütet. er war ein hochzeitsgeschenk für die eltern. gute deutsche wertarbeit. aus edelstahl. im oktober wird er ein halbes jahrhundert alt sein. älter als ich.

während der toaster das brot röstet, habe ich die zeit im auge. gleichzeitig schneide ich den mageren speck in feine scheiben, gebraten wird der in butter, weil das so gut duftet. ich habe noch die großmutter im ohr: „kind, du musst den speck in butter braten. damit fängt man männer!“ das schien ja was tolles zu sein. wer jetzt denkt, ich hätte hier einen käfig voller kerle im haus, die sämtlich opfer meiner speckschrulle wurden, irrt: ich habe sie immer wieder freigelassen.

die eier werden gut verkleppert mit einem schluck milch, einer prise zucker und etwas sojasauce. zum schluss noch ein schwapp sprudelwasser: das macht mein rührei fluffig locker. über den knusprigen speck gießen und stocken lassen. pfeffern salzen fertig! wichtig ist eine gute pfanne. auch da bin ich perfekte schrulle: das ei darf weder anbeppen noch schwarz werden.

ich nehme auch immer nur mageren speck. und das, obwohl ich sonst so gut wie kein schweinefleisch esse. "eier mit speck auf toast" ohne speck - das geht einfach nicht. so mit anfang zwanzig war ich mal zum frühstück eingeladen bei jemand anders, das war in basel. da gab es ebenfalls eier mit speck, oh wunder! der mann kam auch aus dem rheinland. wir haben sehr darüber gelacht, über unser beider traditionelles früchstücksei. der hat aber keinen mageren speck benutzt, sondern fetten. da war klar: der kommt aus düsseldorf.

dazu habe ich dann gerne einen frischen orangensaft oder einen becher darjeeling. und eines der brandenburgischen konzerte von bach. seit ungefähr dreißig jahren. fast jeden sonntag.

böse zungen könnten jetzt von ‚zwangsneurose‘ reden. sollen sie ruhig, wenn die das brauchen. aber wehe, es sagt noch mal eineR „junge frau“ zu mir, und sei es auch nur aus versehen – dem werde ich zeigen, was ne schrulle is‘! ab sofort bin ich nur noch „gnädige frau“ - wenn schon "älter", dann aber auch richtig!


* rituale sind ganz spezielle besondere maßnahmen
** schrulle ist feminin. hat wer ne ahnung oder eine idee, wie das männliche gegenstück heißen könnte?
wenn wir es analog zu macke - macker bilden, vielleicht schruller?


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