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Januar 2021

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Donnerstag, 6. Februar 2014

Mein Fett weg

- Besondere Maßnahme No. XXXII -

Früher mal war ich schlank und rank: 176 cm groß, zwischen 59 und 64 kg lebendiges Gewicht, je nach Zyklusphase. Das war so seit der Oberstufe. Jahrzehntelang hielt ich mir die Waage: Ich war in meinem Gleich-Gewicht. Meine Maße waren 93 – 65 – 97.

Ungefähr mit dem 40. Lebensjahr änderte es sich. Oder ehrlicher: Ich änderte mich. Und zwar ganz einseitig: Ich wurde immer mehr. Bis ich irgendwann das Anderthalbfache wog. Ich war sozusagen 150 Prozent von mir selber.

Über den ungeliebten - und doch irgendwie akzeptierten Matronenspeck und seine Geschichte habe ich vor mehr als vier Jahren einmal berichtet. Es gab nichts daran zu deuteln: Ich war fett. Adipös sogar. Oh böses, hässliches Wort!


Alle Gelassenheit im Umgang damit war vorgetäuscht: Ich mochte mich nicht mehr leiden, fand mich hässlich, hasste mich, ekelte mich gar vor meinem eigenen Körper.

Mehr als ein Jahrzehnt lang habe ich versucht, mein Fett wieder wegzukriegen. Oder zumindest nicht weiter zuzunehmen. Die Kilos hoch und wieder runter.

Insgesamt ein Mehrfaches meiner Selbst habe ich zu- und abgenommen, zugenommen und wieder ab- und wieder zugenommen. Nicht nur mein Leben ging (via Erwerbslosigkeit, Vereinsamung, Armut …) den Bach runter, sondern auch meine Selbstbeherrschung, meine Selbstachtung.

Viel zu oft reicht das Budget nur noch für „past'asciuta – trockene Nudeln“ im wörtlichen Sinne: Nudeln mit nix. Einen Löffel Öl und Salz, vielleicht ein paar Krümel Partisanenkäse. Wenn ich dann mal wieder an emotionaler Unterzuckerung litt, tröstete ich mich mit Billig-Schokolade in Krankenhausmengen.

Im späten Sommer 2013 gab es in einer langen, schweren depressiven Phase - in der ich hier munter die Rosenworte erfunden habe, um mich selbst am Laufen und Funktionieren zu halten – einen seltsamen Wendepunkt:

Beim Friseur hörte ich meine Lockenabschneiderin einer anderen Kundin erzählen, dass sie in nur 8 Wochen 12 kg abgenommen hatte. Ich war verblüfft. Sie sah fabelhaft aus!

Ich war so dermaßen beeindruckt und ich hatte mein Dicksein so dermaßen satt, dass ich mich Ende September bei den WeightWatchers angemeldet habe. Wer aufmerksam mitgelesen hat, konnte leichte Spuren davon in meinen Texten entdecken, zum Beispiel bei der Elsässer Tarte aux Quetsches.

Das ist natürlich ein Paradoxon sondergleichen, dass ausgerechnet eine ALG2-Empfängerin ihr bißchen Geld in einen Diätkonzern trägt – wo doch das monatliche Budget für Nahrungsmittel von 138,83 € (= 4,63 € täglich) ohnehin schon so knapp bemessen ist, dass es kaum für eine ausgewogene Ernährung reicht (zumal, wenn eine auch noch das Katzenfutter davon bezahlt).

Es war meine Entscheidung. Im Oktober kam das Minigehalt des Minijobs dazu und hilft mir, durchzuhalten.

Seit vier Monaten gehe ich also regelmäßig in die Treffen, zähle fleißig meine Futterpunkte und schreibe Listen. Das kommt meiner leicht autistischen Seinsweise entgegen – und es funktioniert: Ich habe mich um 15 kg "verdünnisiert", bin jetzt wieder im Bereich des 'Normalgewichts', in jeder Hinsicht „erleichtert“ und bisweilen ganz hingerissen von mir selber.

Nun weiß ich wieder, wie zauberhaft Schlüsselbeine aussehen könnnen. Oder Wangenknochen. All die schönen Dinge, die wieder passen. Sogar Fingerringe, die ich ich jahrelang nicht tragen konnte, gleiten nun widerstandslos an die Hand. Ein Gewicht wie derzeit hatte ich zuletzt vor zehn Jahren. Damals, bevor die schreckliche Hartz4-Verzweiflung begann.

Das Hexenhäuschen oben war ein Weihnachtsgeschenk: 850 g feinste Vollmilchschoki. Früher hätte ich das in einer Woche locker verputzt. Nun knabbere ich schon seit Monaten daran. Nur Hänsel und Gretel hat die Hexe gleich vernascht: Die waren nicht ausreichend standfest.

Vor ein paar Tagen war ich im Klamottenladen, Hosen anprobieren. Meine Standardjeans brauche ich jetzt zwei Nummern kleiner – und selbst die saß noch locker. Trotzdem kann ich den Erfolg immer noch nicht ganz glauben. Jedes Mal, wenn ich mich auf die Waage stelle, habe ich Angst, dass sie - quasi über Nacht - wieder nach oben flippt und die alten 90 kg anzeigt. tut sie nicht. Sie bleibt bei ihrer freundlichen 75.

Ich denke oft in Bildern. Die Masse, die ich abgenommen habe, stelle ich mir gerne in Butterpaketen vor:

Ein Standard-Butterpäckchen ist 3,5 cm hoch. 15 kg sind 60 Butterpakete. Wenn ich die übereinander stapele, ergibt das eine Buttersäule mit einer Höhe von 2,10 m. Dieser Butterturm steht jetzt quasi neben mir, ich habe ihn outgesourced, habe wieder Kontur.

Auch jetzt schon bin ich stolz auf meine kognitive Disziplin: Wenn schon sonst fast alles schief läuft in meinem Leben, dann habe ich wenigstens mein Körpergewicht wieder unter Kontrolle. „Selbstwirksamkeit“ heißt das stärkende Zauberwort in meiner seit Jahren so unerfreulichen Situation. Ich gehe davon aus, dass es auf andere Lebensbereiche ausstrahlt.


PS.
Hätte mir vor einem halben Jahr wer prophezeit, dass ich hier mal in einer kostenlosen Werbesendung ein Loblied auf die WeightWatchers singen würde – ich hätte sie oder ihn angesehen wie ein giftgrünes Wesen aus einer feindlichen Galaxie. Dachte ich doch, dass es sich um eine Art Sekte handelt und ich nur noch deren Produkte essen darf. So ist das nicht. Hinter der etwas seltsamen Werbung steckt – so weit ich das beurteilen kann - ein ausgeklügeltes und auch psychologisch geschicktes System. Sie lassen mir viel Freiheit, verbieten mir weder den Milchkaffee noch die Schokolade (also meine Grundnahrungsmittel). Nur was die Mengen angeht, da lerne ich wieder Achtsamkeit und erinnere mich an alte, an gesündere Muster: Zum Beispiel das Schnuckeln vor dem PC, das lasse ich möglichst weg. Und ich achte darauf, dass ich mich wieder mehr und regelmäßiger bewege. Auch kleine Schritte zählen!



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