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Mittwoch, 12. Februar 2014

Mauerbau 2013

- eine Vermietergeschichte mit Bildern -

Dass mein spießiger Vermieter alles Lebendige zu hassen scheint und sein Umfeld gerne pflegeleicht deutschgrau gestaltet, weiß ich ja nicht erst, seitdem er vor einigen Jahren die Blumenerde im Vorgarten durch spitzen grauen Betonschotter ersetzt hat und diese Beleidigung der Natur für „toskanischen Stil“ hält.

Im vergangenen Herbst dann hat er den Vogel zwar nicht gleich abgeschossen, aber doch der hiesigen Vogelwelt jegliche Lebensgrundlage entzogen, indem er seine zwei bis drei Meter hohe Gartenhecke eines Tages zackzack! mit großem Getöse abholzen ließ.

Alles grüne Lebendige muss weg!

Es folgten – mit nicht minder Getöse, per LKW und Bagger – Erdaushub-, -umschichtungs- und diverse -anlieferungsarbeiten. Geliefert wurden Baugerät, palettenweise schwere Hohlsteine, Zement in Bergen, kistenweise Bier und was der Bauarbeiter an sich sonst noch so braucht.

Vom Balkon aus hatte ich alles bestens im Blick, konnte jedoch nur raten, was das werden wollte. Wie üblich hatte mein katholischer Vermieter auch diesmal keinen Wert darauf gelegt, mich vorab ein bißchen zu informieren, dass er mal wieder großen Lärm und Dreck auf unbestimmte Zeit im Schilde führt. Wieder einmal hatte ich keinerlei Chance, mich darauf einzustellen und eventuell ein Ausweichquartier zu organisieren.


Dann kamen die Bauarbeiter. Häßliche Männer, ebenfalls mit großem Getöse und Betonmischmaschine, Steinsäge, Gebrüll und Schubkarre, Hammer und Meißel, über Wochen und Monate.

Sie bauten eine Mauer! Und zwar nicht irgendeine: Ein monströses Bauwerk von chinesischen Ausmaßen für die Ewigkeit, das alle Nachbarn vor Neid erblassen lässt, ist das Mindeste! Nichts Geringeres hält dieser gnadenlose Heckenstutzer und taktlose Quetschenquäler mit Rosamunde-Gesinnung, unser Thomas Gottschalk vom Dorfe, für seiner würdig.


Egal ob Sonne, Nebel, Regen: Die Mauer wuchs. Sie wuchs langsam, denn es ist nicht irgendeine Mauer: Nicht einfach ein paar zich Meter Stein auf Stein geradeaus, nein! Sondern mit eingemauerter Kurve!

Das ist hohe Maurerkunst! Und zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass jeder einzelne Stein mehrfach geteilt und zu „Tortenstückchen“ geschnitten werden muss, damit die Wand die Kurve kriegt. Höllenlärm. Wochenlang!

Damit die hohlen Steine nicht wieder auseinanderpurzeln, wurden sie von oben mit Zement gefüllt. Stückchen für Stückchen. Dann noch eine Borte obenauf, ebenfalls in lärmintensivem Feinschnitt gepuzzelt. Das sorgfältige Verputzen und Weißeln waren die eher ruhigen Arbeiten.


Die Maurer verschwanden, die Landschaftsgestalter rückten an: Brachten neue Erde, neues Grün. Zarte Hoffnung keimte auf.

Aber zu früh gefreut: Nur pflegeleichtes, steriles Immergrün - schräge toskanische (!) Säulenzypressen und inspirationsfreier Kirschlorbeer wurden gesetzt. Die Erde wurde platt gestampft, mit unkrautverhinderndem Vlies bedeckt und unter einer dicken Schicht von spitzem deutschgrauen Gleisbettgranit(?)schotter versteckt. Dass das man bloß nicht zu lebendig wird alles!


Bei Nässe wird der spitze Schotter schwarz. Ein Trauerrand für den auf englischen Golfrasen getrimmten Rest vom Garten. Und hohe Verletzungsgefahr für die Enkelkinder, die inzwischen beide laufen können und regelmäßig zu Besuch sind. Sie werden hart fallen, wenn sie mal über die steinerne Rasenkante stolpern.

Als krönender Abschluss wurde noch ein wie ein Grabstein wirkendes "Kunstwerk" installiert. Auf einem eigens gepflasterten Podest.

Dort, wo früher eine grüne, blühende, duftende, zwitschernde, summende Hecke war, die im Wind leise raschelte, in der sich Schmetterlinge tummelten, die Lebensraum und Versteck war für Vögel, Insekten, Mäuse, Igel, Fledermäuse, Katzen und Blattläuse … geht mein Blick also nun auf eine kalte Friedhofsmauer.

Überall im Dorf zwitschern schon die Vögel. Nur bei uns im „Garten“ ist – was Geräusche aus der Natur angeht – totenstille Friedhofsruhe! Statt dessen höre ich die geistig scheintoten Vermieter umso lauter bellen (er) und keifen (sie), denn der gebogene Beton ist ein prima Schalltrichter.

Wie in einem Amphitheater höre ich hier oben alle Geräusche aus der "Bell"-Etage ein paar Dezibel lauter, jeden Furz in allen Nuancen umso deutlicher. All dieses Dummbatzgelaber, das ich nicht nur hören, sondern nun leider auch noch mehr verstehen muss als vorher. Wenn ich doch nicht so gute Ohren hätte! Ich wünschte, ich könnte sie schließen wie meine Augen zum Schutz vor der schmerzhaft reflektierenden Weißwand.

Die Außenseite, zur Straße hin und in den Rebberg hinein, ist genau so antiseptisch zahnpastastrahlendweiß wie die Innenseite. Ich frage mich täglich, wie lange wohl noch. In Berlin gäbe es das nicht, dass eine so jungfräuliche Mauer über Monate hinweg so unberührt bleibt. Die reinste Herausforderung für jeden Wandkünstler!

Für mich, die ich über viele Jahre in Berlin die Mauer direkt vor der Nase hatte, ist das unverständlich, warum ein Mensch sich selbst so einmauert. 50 Jahre nach dem innerdeutschen Mauerbau von 1963 und fast ein Vierteljahrhundert nach ihrem gefeierten Fall 1989 habe ich weder für Mauern noch für Zement noch für Beton auch nur ein Fitzelchen Sympathie übrig.

Wie heißt es in China? Ich schrieb es bereits:

„Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.“

Es wird Zeit, dass ich mich vom Südwestwind davontragen lasse. Wenn ich doch nur leicht genug wäre, würde es mich – samt Katze - bis weit hinauf in den Nordosten wehen, an die Ostostsee. Die ich so liebe! Ach. Das wäre schön!

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