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Mittwoch, 1. Mai 2013

kalte raucherin

innerhalb von sieben jahren, so sagt man, habe sich jede zelle des körpers einmal erneuert. statistisch gesehen, versteht sich. manche öfter, manche seltener. in jungen jahren schneller, im alter langsamer.

im kopf wahrscheinlich seltener, denn mein gehirn kann mich sehr gut an dinge erinnern, die länger als sieben jahre zurückliegen.

Wasserwelt mit guter Luft (Rheinfall bei Schaffhausen)



wie auch immer: ab heute hat keine einzige zelle meines körpers jemals mit von mir selbst inhaliertem nikotin zu tun gehabt. statistisch gesehen, versteht sich.

mein gehirn kann mich nämlich noch sehr genau daran erinnern, wie das war, damals …

die ersten zigaretten rauchte ich mit siebzehn. nicht, weil ich das schick fand oder gar appetitlich. neinnein, ganz im gegenteil. der vater rauchte ja auch, und das stank mir ganz gewaltig. schon seit kinderzeiten.

die ersten zigaretten rauchte ich, um zu üben. man stelle sich das vor. damit ich bei den joints mit den männern nicht immer so husten musste, denn das war mir peinlich. das war mädchen!

die wenigen versuche mit hasch gab ich jedoch nach kurzer zeit wieder auf. THC war eindeutig nicht meine droge: sie machte mich stoned. im wahrsten sinne des wortes: sobald die wirkung einsetzte, saß ich unbeweglich in der ecke, konnte mich nicht mehr rühren, konnte auch nicht reden und war schwer wie ein stein.

mag sein, andere haben das genossen. ich nicht. mir war auch nicht nach lachen zumute. statt dessen wurde mir oft übel. außerdem konnte ich die wirkung nicht kontrollieren: weder wann es anfing, noch wie stark es war, noch wie lange es dauerte. das war mir unheimlich.

vom kiff versteinert war ich mir und dem drumherum wehrlos ausgeliefert. das ging nicht. zumal dieser zustand bisweilen von anwesenden herren durchaus ausgenutzt wurde. zum glück kann ich mich nicht an alle erinnern.

nur einmal, weiß ich noch, da hatte ich echt spaß. das war 1982, auf ko samui am strand, in der bambushütte mit dem palmendach. wir hatten grüne kekse gegessen. sehr lecker. die wirkung setzte sehr spät ein und sehr heftig. den mann, der dabei war, mochte ich sehr.

als er mich verließ, ließ ich den shit und wandte mich verstärkt dem alkohol zu. das hatte ich damals besser unter kontrolle in menge und wirkung.

die zigaretten aber blieben, an die hatte ich mich gewöhnt, und sie sollten mich fast drei jahrzehnte lang begleiten. mo jour, ganz dame von welt: lässig am tresen lehnend, in der einen hand das glas mit drink nach wahl, in der anderen hand die zigarette, geistreich plaudernd, charmant und unschlagbar unnahbar.

mit dem drink nach wahl, das hat nach meinem entzug im herbst 1999 auch ohne alkohol funktioniert. die „wasserwelt“ im berliner hansaviertel am tiergarten wurde damals zu einer meiner lieblingsbars. man servierte die leckersten alkoholfreien getränke der stadt. welch ein genuss!

orte wie die wasserwelt halfen mir in den anfängen meiner abstinenz, nicht dem traurigen gefühl von verzicht zu erliegen und rückfällig zu werden.

heutzutage aber taugt die phantasie der rauchenden, trinkenden kultur- & musik-journalistin und polyglotten weltreisenden nicht mehr zur coolen selbstinszenierung. denn an vielen tresen der welt ist inzwischen rauchverbot. wenn die protagonistin zum qualmen vor die tür muss, stirbt die illusion.

was bin ich da froh, dass ich mit dem nikotin rechtzeitig aufgehört habe. vor sieben jahren nämlich, am 30. april 2006, rauchte ich meine letzte zigarette.

nach dem ersten rauchfreien jahr, so heißt es, gilt eine ehemalige raucherin dann als nichtraucherin. diese bezeichnung finde ich nicht zutreffend und irreführend.

nichtraucherInnen haben nach meinem verständnis niemals im leben geraucht, niemals angefangen. ein paar probezichten vielleicht, aber das sollte es dann gewesen sein.

wer nikotinsüchtig ist und aufhört, hat meist einen ordentlichen entzug, der ziemlich lange dauern kann und den gesamten stoffwechsel betrifft.

für mich war es viel schwieriger „die erste zigarette stecken zu lassen“ als „das erste glas stehen zu lassen“. porca miseria*, was hat mich das nikotin gezickt!

mittlerweile habe ich nur noch ganz ganz selten das bedürfnis nach einer zigarette. dann horche in mich hinein und stelle fest, dass es meist etwas ganz anderes ist, das mir in dem augenblick gerade fehlt. etwas, das mit nikotin überhaupt nichts zu tun hat.

pause machen zum beispiel. mit den händen und mit dem kopf nichts tun, das fällt mir immer noch ganz schwer, wenn ich dabei nicht einem blauen dunst mit lustigen rauchringen hinterhersehen kann.

es soll ja menschen geben, denen macht so ein nikotinentzug überhaupt nix aus. die hören auf und gut is. bei mir war das anders. ich habe wirklich gelitten.

aber ich habe durchgehalten. mit kognitiver disziplin, ganz ganz viel geduld und sehr viel schokolade. dazu gummibärchen in krankenhausmengen. was hilft, hat recht.

heute bezeichne ich mich - analog zur „trockenen alkoholkerin“ als „kalte raucherin“. das bringt für mich angemessen zum ausdruck, welch eine enorme anstrengung und leistung es sein kann, etwas NICHT zu tun. erst recht, wenn eine danach süchtig ist. dass mir das bis heute gelingt, darauf bin ich stolz.

als im sommer 2008 in den meisten kneipen bundesweit ein rauchverbot eingeführt wurde, war ich dankbar. lecker essen gehen ohne nikotinschwaden. das fand ich sogar als noch-raucherin sehr unappetitlich. da war ich paradox.

in nordrhein-westfalen tritt heute ein noch viel umfassenderes rauchverbot in kraft, das ebenso streng ist wie in bayern. das finde ich gut. das wünsche ich mir für baden-württemberg auch. wer sich vergiften möchte, möge das bitte bei sich zu hause tun und nicht noch andere da mit hineinziehen.

dass ich das rauchen (und trinken) nicht erst noch aufhören muss, dass ich den entzug hinter mir habe - darüber bin ich sehr erleichtert. das ist eine hart erkämpfte erfolgsgeschichte in meinem leben.


*ps.
tolle und kostenlose unterstützung fürs rauchfrei werden gibt es übrigens bei der BundesZentrale für gesundheitliche Aufklärung in Köln.

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