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Montag, 22. Oktober 2012

alles auf anfang

das leben kann so ein luder sein.

gerade erst hatte ich gedacht: „jetzt haste aber ne menge erfahrungen gemacht. gerade die letzte war ja mal wieder eine echte herausforderung, zu buchen auf das lebenskonto 'erfahrungen - sollseite'. nun könnte zur abwechslung einmal etwas kommen, das ich aus dem fundus an bereits gemachten erfahrungen locker bewältigen kann - damit ich ein bißchen luft habe, um mich mit aller kraft in die neue stelle einzuarbeiten, gut fuß zu fassen und souverän zu werden ...!“

blühender glücksklee (oxalis tetraphylla)

aber immer dann kommt das leben, watscht mir ins gesicht und sagt „äätsch-bäätsch! ich habe noch was neues für dich!“ ZACK! 

dieses luder.

keine drei monate war ich im medienkonzern, halbtags, als redaktionsassistenz für drei verschiedene redakteurinnen. im grunde musste ich dreierlei jobs neu lernen, für jede einen, ganz unterschiedliche aufgaben in unterschiedlichen redaktionssystemen und software-backends. vielerlei, alles sehr komplex.

obwohl ich als zeitarbeiterin schon fast ein dreiviertel jahr in einer anderen abteilung gearbeitet hatte, kam ich mir vor wie in einer neuen firma. erfahrene kolleginnen sagten: „da brauchst du mindestens ein jahr, um dich einzuarbeiten.“ eine ganz ehrliche kollegin sagte: „um sich wirklich auszukennen, braucht man zwei jahre.“

sehr viel auf einmal, so schnell wie möglich, oft sekundenschnelles hin- und her-switchen: auf emails und kundenanfragen umgehend reagieren; dazwischen komplexe übersetzungen juristischer texte aus dem deutschen ins englische (zu denen eine befreundete diplomübersetzerin gesagt hatte, dass sie sich das nur zutrauen würde, wenn ein muttersprachlicher arbeitsrechtler das gegenliest); gleichzeitig zweierlei portalsforen auf neue einträge überwachen (und beantworten); stundenlanges akribisches prüfen diffiziler textbausteine in der software (ist die englische übersetzung korrekt, stimmt die zuordnung …); das alles und noch viel mehr - im geräuschpegel von teils laut telefonierendem großraumbüro und baustellenlärm vor dem fenster.

unmöglich, mir alles gleich beim ersten mal zu merken. ich habe kein fotographisches gedächtnis. mein mensataugliches hochleistungshirn im overload. ich schwamm. stück für stück fand ich mich ein, tag für tag schaffte ich mir mehr boden mehr unter die füße.

wenn ich nicht weiterkam, fragte ich die kollegInnen. so war es vereinbart. wenn ich fehler machte, wurde ich darauf hingewiesen, hörte zu, lernte daraus. wie das eben so ist in einer einarbeitung.

in den vierzehntägigen rücksprachen mit der redaktionsleitung bekam ich großes lob für meine übersetzungen. von den beiden anderen erhielt ich kein konkretes feedback. „solange nichts negatives kommt, ist alles gut im fluss.“ - dachte ich und strengte mich weiter an.

umso entsetzter war ich, als die chefin in meiner elften woche am neuen arbeitsplatz die rücksprache eröffnete mit den worten: „ich habe schlechte nachrichten für Sie.“ - ?!?!?! - „Sie wissen sicher schon, worum es geht.“ - ?!?!?! - „wir wollen Ihnen kündigen.“ - ?!?!?! - „wir haben uns die entscheidung nicht leicht gemacht.“ - ?!?!?! - „Sie sind zeitlich zu unflexibel (ich war pro arbeitstag im schnitt fast eine stunde länger da).“ - ?!?!?! - „Sie haben überhaupt kein gespür dafür, wann hier viel zu tun ist.“ - ?!?!?! - „Sie haben zum falschen zeitpunkt einen tag urlaub genommen (das war kein urlaub, sondern - auf den vorschlag der chefin hin - das zeitnahe abgleiten von überstunden und mit allen abgesprochen).“ - ?!?!?! - „Sie sind im allgemeinen den belastungen dieser stelle nicht gewachsen.“ - ?!?!?! - „Sie hätten doch merken müssen, dass schlechte stimmung ist.“

dann legte sie mir die kündigung vor (abgezeichnet von dreierlei geschäftsführungen und abgenickt vom betriebsrat). ich hatte den empfang zu quittieren, meinen schreibtisch sofort zu räumen, die mitarbeiterkarte auf den tisch zu legen und das haus zu verlassen.

oh leben, du luder!

ich war geschockt und bin es noch. offensichtlich hatten die drei „herrinnen“ (o-ton chefin) seit wochen und monaten über mich gesprochen - und nicht ein einziges mal mit mir. ich hatte keine chance, stellung zu nehmen und - was auch immer - zu verändern, verhalten oder arbeitsweisen zu korrigieren und anzupassen. statt dessen haben sie meine - angeblichen - defizite gesammelt und mich ins offene messer laufen lassen.

luder.

ich war nicht gut. ich war ihnen nicht einmal gut genug, dass ich ihnen die zeit wert gewesen wäre, meine angeblich ungenügenden leistungen mit mir zu besprechen. ich war scheinbar sogar so dermaßen schlecht und unerträglich und schädlich fürs geschäft, dass man mich lieber von jetzt auf gleich wegschickt - und dafür in kauf nimmt, trotz arbeit im überfluss die stelle nun wieder mindestens sechs wochen lang unbesetzt zu haben, um anschließend mit einer neuen kollegin und der einarbeitung wieder ganz von vorne zu beginnen.

abgesehen von dem schock über dieses unerwartete ende von etwas, das für mich mit ganz viel zuversicht begonnen hat …; abgesehen von der verzweiflung, jetzt wieder ohne eine regelmäßige arbeit dazustehen und dem hartz4-amt aufs neue vollzeit ausgeliefert zu sein …; abgesehen von der trauer, so von jetzt auf gleich einen wichtig gewordenen teil meines lebensinhalts abgeschnitten zu bekommen …; abgesehen von der großen ratlosigkeit, was die entsetzlich große differenz angeht zwischen eigen- und fremdwahrnehmung …; abgesehen von der verunsicherung, wie ich denn nun in meinem lebenslauf elegant unterbringe, dass ich bereits während der probezeit rausgeworfen wurde …

abgesehen von alledem ... bin ich ganz schön wütend!

denn auch, wenn ich jetzt im augenblick überhaupt noch nicht weiter weiß, folgendes ist schon mal klar:

es ist überhaupt nicht schön, dass ich meine arbeit schon nach so kurzer zeit wieder verloren habe. aber es ist überhaupt nicht schlimm, dass ich diese arbeit nicht mehr habe:

in einer umgebung, wo ich ohne hellseherische fähigkeiten ständig angst haben müsste, das falsche zu tun oder zu sagen, weil jemand anders darauf lauert, mich vorzuführen, könnte ich auf dauer nicht gedeihen.

für einen betrieb, dessen devise (u.a.) lautet „Bei uns fahren alle Vollgas. Immer. Wer nicht immer Vollgas fährt, fährt besser woanders!“, habe ich einfach nicht genug testosteron im blut, liebe ich das achtsame unterwegs-sein viel zu sehr.

wenn ich schon im firmensprech, das den maskulinen singular zur norm erklärt und frauen für nicht weiter der rede wert hält, nicht vorkomme - dann habe ich dort zwar jetzt meinen job, als kluge frau aber ansonsten nichts verloren.

so.
ich bleibe in bewegung.
leben, es darf wieder etwas neues kommen.
du luder!



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