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Samstag, 5. Mai 2012

nel blu

ins blaue hinein“ - das sagt man bei uns ja gerne mal, wenn man die richtung noch nicht so genau weiß.

auch bei mir ist die richtung derzeit alles andere als klar. weil ich nachdenken muss, mich neu sortieren will. nachspüren, in welchem maße ich die diagnose „autistin“ in mich hineinintegrieren will, kann – und inwiefern ich sie nicht doch lieber außen vor lasse.



asperger syndrom? was ist das schon!? das hat irgendein mann sich ausgedacht. in den letzten jahren avanciert zur modediagnose. eine prima methode, um hochbegabte, eigensinnige querdenkerInnen zu pathologisieren. denn denkende menschen können ja ziemlich lästig sein für die allgemeinheit.

das asperger syndrom zählt aber nicht als hochkreative methode und besondere fähigkeit empfindsamer und intelligenter menschen, mit einer für sie in hohem maße belastenden umwelt im eigenen sinne (= eigensinnig) und angemessen umzugehen, sondern es gilt als behinderung. what a quatsch!

das kann sich nur eine neurotpye ausdenken von durchschnittlicher intelligenz. jemand, die keine, aber auch gar keine ahnung davon hat, wie anstrengend es sein kann, als mensch mit einem iq von über 140 sich ständig selbst ausbremsen zu müssen, nur um von den 'normalos' einigermaßen verstanden zu werden.

nur mal zum vergleich: es wäre nicht weniger anstrengend, als durchschnittlich intelligenter mensch (angenommer iq = 100) eine einprozentige minderheit zu sein. alle anderen würden auf einem iq von 60 dahindümpeln, sich aber für 'normal' halten, weil sie ja in der mehrheit sind. da würde doch auch der 100er-iq-typ rein aus selbstschutz ein paar überlebensmechanismen entwickeln, die den 60ern sicher sehr merkwürdig und 'unnormal' vorkämen ....

asp.syn ist nicht messbar. es ist nicht ansteckend. es ist eine variante im gehirn, für die es ein paar merkmale gibt. merkmale, die – jedes für sich genommen – alle auch als merkmale von hochbegabung oder von posttraumatischer belastungsstörung gedeutet werden können. so habe ich das bisher zumindest verstanden.

so what? mein asperger autismus ist also – wenn überhaupt – ein webfehler in den synapsen. wahrscheinlich aber eher ein sehr ausgefallenes, seltenes webmuster. kein fehler:

it's not a bug. it's a feature!“

trotzdem muss ich da weiter darüber nachdenken. selbst ohne diese neue diagnose wäre auch mal wieder eine auszeit fällig gewesen: von einem wenig erfreulichen, anstrengenden alltag einerseits.

von meiner diagnose 'PTSD' andererseits. denn auch das wurde ja nur diagnostiziert, fortan ich damit allein gelassen. therapie ist nicht mehr, kontingent aufgebraucht. klinik macht derzeit keinen sinn, sagt die ärztin, da müsste ich vorher stabiler sein. zur fortgesetzten retraumatisierung und weiteren destabilisierung aber trägt ja seit jahren munter das hartz-IV amt bei. neuerdings auch der vermieter noch zusätzlich. nicht stabil genug, keine traumatherapie. keine traumatherapie? ja dann kann sie auch umziehen, sagt das amt (und der vermieter sowieso, diese tumbe neurotype).

also nachdenken. zurück in meine mitte mitte finden.

wo könnte das besser gehen als an einem ort, wo tag und nacht sanftes wellenrauschen meinen tinnitus übertönt? wo ein strahlendes blau meinen düsteren gedanken einen heiteren anstrich gibt? wo der duft von 'lavendel, oleander und jasmin' nicht aus der waschmaschine kommt, sondern mich hinter jeder wegbiegung neu anweht, 'in echt'?



also bin ich ins blaue „dolce far niente“ gefahren. dorthin, wo das 'azzurro' und das 'blu dipinto di blu' ihren ursprung haben. vor allem dafür war es wichtig, dass die türen an meinem kleinen alten auto wieder abschließbar sind. nein, keine falschen vorurteile. es geht hier einzig und allein um mein subjektives gefühl von sicherheit:

wenn ich mich sicherer fühle, bin ich entspannter. wenn ich entspannter bin, kann ich besser nachdenken.

mein blauer luxus: eine wohnung direkt über der strandpromenade, die in dieser jahreszeit noch erfreulich ruhig ist.

eine weile keine verpflichtungen. kein arroganter vermieter. keine graue redaktion. keine blöde post vom amt. nicht mal nachrichten. soll die welt doch untergehen, das erfahre ich noch früh genug – und ändern könnte ich es ohnehin nicht.

es ist das erste mal seit mehr als fünfeinhalb jahren, dass ich länger als eine woche 'urlaub' habe. das geld für die reise habe ich mir von meinem dispokredit geliehen.

ich bin im blauen, ohne selbst blau zu sein. mein letzter besuch in diesem land liegt fünfzehn jahre zurück. auch damals war es mai. ich war allein auf sardinien. es war wunderschön. alles blühte! ich liebe diese eigensinnige insel. ein freund, der eigentlich hatte mitfahren wollen, sagte in ziemlich letzter minute ab. ich war sehr einsam. der wein war ausgezeichnet. ich betrank mich täglich.

auch diesmal bin ich allein. nicht auf sardinien, aber alles blüht. ich muss es bei lebendigem leibe aushalten, das eine wie das andere. keine drogen außer koffein und schokolade. jedenfalls kein alkohol.

das rauschen des meeres besänftigt meine wunde seele. mit jedem wellengang, den ich an der wasserkante entlang unternehme, glätten sich meine zerquälten nervenenden – von denen sich jedes einzelne zerfranst fühlt wie ein gespaltenes paragraphenzeichen. ungefähr zwei mal täglich eine stunde, das ist meine therapie.

schade nur: ich kann von hier aus nichts ändern an meinem leben, nichts verbessern, nichts erleichtern. aber vielleicht kann ich etwas kraft tanken für den schrecklichen alltag, für den ich dann wohl demnäxt auch noch einen schwerbehindertenausweis brauchen werde.

vielleicht kann ich neue strategien entwickeln, doch noch mal die weichen neu stellen, die richtung ändern.

und nein, ich will nicht bleiben wie ich bin. diese vorstellung, auch in meinem letzten lebensdrittel immer nur unglücklich und einsam zu sein und ständig in vielerlei hinsicht gegen meinen willen gefickt zu werden, ist keineswegs aufmunternd. genauso wie der gedanke daran, dass ich mein duftendes, wellenrauschendes azzurro-blu demnächst wieder werde verlassen müssen, ganz und gar unerträglich ist.

eigentlich möchte ich mich in diesem wunderschönen blau am liebsten in ein wunderschönes blaues nichts auflösen.

als zen-buddhistische philosophin aber weiß ich doch: das nichts ist nicht nichts, nicht einmal das blaue.

was wäre ich dann?! und wo bin ich überhaupt?!



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