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Januar 2021

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Mittwoch, 10. August 2011

nachtwanderungen II


besondere maßnahme no. XXIV

montag früh, stockfinstere nacht. ich werde jäh aus dem schlaf gerissen: das telefon klingelt. genau drei uhr.

Anonymer Anruf auf Siemens Gigaset C385
schlaftrunken rasen mir die schlimmsten gedanken durch den kopf: jemand gestorben?!! eine katastrophe?! was sonst?!!

bevor ich mich aus den decken geschält habe, aufgestanden und nachtblind bis zum telefon gelangt bin, hört das klingeln auf. die anrufbeantworterin übernimmt.

keine nachricht. man hat wieder aufgelegt. im display wird mir eine unbekannte mobilnummer angezeigt.

ich brummele ungehalten, was das soll, mich mitten in der nacht zu wecken. war wohl wer falsch verbunden und hatte angst, das zuzugeben. blödmann.

trotzdem bin ich beunruhigt. herzrasen. war es doch etwas anderes?

aus der küche hole ich mir ein glas wasser, leere es in einem zug. das beruhigt. ich gieße mir ein zweites ein und stelle es neben das bett.

noch bevor ich wieder unter der decke liege, klingelt das telefon erneut. es ist drei uhr und vier minuten. im display die gleiche, mir unbekannte mobilnummer. ich stehe neben dem telefon. starre aufs display. ich gehe nicht ran. die anrufbeantworterin übernimmt.

herzrasen. ich warte ab, bis die nachrichtentaste leuchtet. diesmal hat derjenige nicht gleich wieder aufgelegt, sondern eine nachricht hinterlassen: „hallo du geile schlampe. du geile schlampe!“

mehr nicht. diese sieben wörter reichen aus, mich den rest der nacht nicht mehr schlafen zu lassen.

ich fühle mich schmutzig. besudelt. beängstigt. eine zähneknirschende wut kocht in mir hoch. was bildet der sich ein?! woher kennt der mich?! kennt der mich überhaupt?! immer dasselbe: scheiß männer.

früher hätte ich in solchen situationen ein bier getrunken. für die nerven, natürlich. wegen der vitamine. rein aus medizinischen gründen. bier beruhigt. hopfen macht schläfrig. oder einen schnaps. oder sieben. auf den schreck. aber alkohol fällt aus. ich habe viel zu viel geschluckt in meinen jungen jahren.

so viel wasser, wie ich bräuchte, um mich wieder runterzupegeln, kann ich gar nicht trinken. das alta trauma ist sofort wieder da. der geschmack von sperma im mund. auch davon viel zu viel geschluckt in jungen jahren.

ich bin wütend. kriege schlimmste rachegelüste, verprügele die matratze. gegen meine folterfantasien sind die horrorgeschichten von stephen king der reinste kindergartenkram. eigentlich ein wunder, dass ich noch niemanden in echt umgebracht habe.

die katze, die bis zum ersten telefonklingeln noch schnurrend in meinem arm lag, verzieht sich irritiert – so weit wie möglich weg von mir.

irgendwann schlafe ich doch wieder ein, wache in der früh auf. die katze ist wieder da.

noch im bademantel, mit dem ersten milchkaffee in der hand, sitze ich vor dem rechner und suche die nummer vom frauennotruf.

möchte wissen, was ich jetzt tun soll. schließlich habe ich seine nummer. die frau vom notruf nimmt mich ernst. kein blöder spruch von wegen „was, mehr hat er nicht gesagt?! kindchen das erleben wir doch alle täglich ....“

sie bietet mir an, sich bei der kripo in der stadt für mich zu erkundigen. weil es selten ist, dass der straftäter die handynummer gleich mitliefert.

kurz darauf ruft sie zurück, ich soll unbedingt anzeige erstatten. nicht in der stadt, sondern bei meiner zuständigen dorfpolizei. ich druckse herum. sie bietet mir an, auch dort anzurufen und nachzufragen, ob es eine beamtin gibt, mit der ich sprechen kann. ich bin dankbar.

ganz bald schon klingelt wieder das telefon: die beamtin der örtlichen polizeistation. ich erzähle alles noch einmal. wir vereinbaren einen termin. damit sie zeit hat und wir eine weile ungestört sind, wenn ich meine aussage mache und anzeige erstatte. sie wird in der zwischenzeit herausfinden, auf wen das handy angemeldet ist.

früher habe ich auf solche terroranrufe einfach nicht reagiert. ich habe die sexualisierte gewalt geschluckt. darüber hinweggesehen. männer sind halt so. mir ist ja nichts passiert. es waren nur worte und eine schlaflose nacht. oder sieben.

die zeiten haben sich geändert. die männer nicht. heute weiß die polizei, dass von worten gewalt ausgeht. dass das eine straftat ist, was mir da nachts passierte. das macht es nicht ungeschehen, aber es beruhigt. ein wenig, zumindest.

ich fühle mich nicht mehr nur hilflos ausgeliefert und wünschte, das wäre in meiner kinder- und jugendzeit auch schon so gewesen, dass man mich ernst genommen und sexuelle gewalt nicht zum kavaliersdelikt erklärt hätte. es hätte vieles freundlicher sein können in meinem leben.

ändern oder ungeschehen machen kann aber auch keine polizei, und sei sie noch so verständnisvoll. wann immer das telefon klingelt, schlägt mir das herz bis zum hals und ich bin froh, dass es das display gibt. unbekannte nummer? gehe ich sowieso nicht ran. nicht erst seit vorgestern.

als ich - mit handydisplay und tonbandaufnahme im gepäck - anzeige erstatte, muss ich begründen, warum ich mit vollem vor- und nachnamen und anschrift im telefonbuch stehe. unterschwellig, ganz leise, der unausgesprochene vorwurf: „da sind sie doch selber schuld ….“

frau allein auf der straße? selbst schuld.
sogar noch einen rock angehabt? die reinste herausforderung!
frau als frau erkennbar im telefonbuch? selbst schuld.
und dann auch noch mit adresse? da brauchen Sie sich nicht zu wundern!

es kotzt mich an!
ich bin nicht schuld, wenn männer ihre grenzen nicht kennen.
keine frau ist schuld, wenn ein kerl seine macht missbraucht.

damit mir nichts passieren kann, soll ich mich unsichtbar machen.
auf der straße. im telefonbuch. wo noch?!
ich weigere mich. ich will gesehen werden. will wahrgenommen und respektiert werden!

der zweite vorschlag:
eine trillerpfeife nebens telefon legen. für den fall, dass er noch mal …. tatsächlich raten in diesem fall sowohl der frauennotruf als auch die polizei zur selbstjustiz.

das halte ich für kein gute methode – selbst wenn er danach zwei tage lang nix hört. aber 'man' könnte mich wegen körperverletzung anzeigen. um dieses risiko einzugehen, ist so ein trillerschaden einfach nicht groß genug. obendrein würde ich mich mit der lauten triller auch noch selbst verletzen. meine armen tinnitusgeplagten ohren.

die anzeige ist jetzt unterwegs an die staatsanwaltschaft. und wird irgendwann ergebnislos eingestellt. das handy ist nicht registriert: eine von abermillionen anonymen prepaidnummern.

ich frage mich:
wozu braucht der staat die speicherung der verbindungsdaten, wenn er sie dann später doch nicht zuordnen kann?

ich frage mich außerdem:
warum werde ich gezwungen, auf meiner homepage all meine koordinaten offen darzulegen – wenn mir gleichzeitig zum selbstschutz geraten wird, mich aus dem telefonbuch doch lieber entfernen zu lassen?

drittens frage ich mich:
wie soll durch die aktuelle politische forderung, im internet nirgends mehr anonym auftreten zu dürfen – so wie ich hier in meinem weblog – auch nur eine einzige straftat verhindert werden? ich befürchte das gegenteil.

sagte eine freundin neulich: "egal in welcher gesellschaft du lebst auf diesem planeten: als frau hast du immer die arschkarte."

ich hätte ihr gern widersprochen.


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