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Januar 2021

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Freitag, 21. Januar 2011

auf linie

um nicht völlig in der winterdepression zu versinken, bemühe ich mich, jeden tag mindestens eine halbe stunde vor die tür zu gehen. in die weinberge. das kostet kein geld. das ist wichtig.


das schwierige ist nicht das spazierengehen. ich laufe sehr gerne. das schwierige ist die einsamkeit. wenn eine den ganzen tag allein ist, sich selbst zum gedankengang allein vor die tür schickt, alleine draußen durch die reben stapft und auch beim nachhausekommen niemandem erzählen kann, was sie gesehen hat, was sie gedacht hat – das ist .... folter.

ich stecke mir den mp3 ins ohr. ich höre musik oder ein buch. es bleibt einsam. rebstockreihe auf und rebstockreihe ab kullern die tränen. all die jahre schon.

das andere schwierige ist die eintönigkeit, reihe um reihe. das gleichförmige, das im winter umso deutlicher wird, wenn auch das letzte bißchen grün vom schnee verschluckt wird, alles nur noch schwarz und weiß scheint: landwirtschaftliche einöde. in alle richtungen.

da stehen sie in reih und glied, die rebstöcke. gezüchtet auf höchsten ertrag, beste klimatauglichkeit. neuerdings werden neue rebenreihen mit größerem abstand gepflanzt. weil immer weniger von hand geerntet wird. nicht mehr menschen mit eimern und kleine weinbergs-trecker müssen durchpassen, sondern große laute weinbeerengefräßige erntemaschinen.

ich stapfe durch die reben. manchmal schnüre ich wie eine katze meine spuren auf eine imaginäre perlenkette. das immergleiche auf und ab langweilt mich. die reben wachsen an langen drähten. ausrutscher nach rechts oder links sind nicht vorgesehen. trotzdem fällt es mir schwer, ganz gerade linien zu laufen. die gleichförmige landschaft fessselt nicht meinen geist, erlaubt den gedanken das wandern.


aus den rebstockreihen im immer gleichen abstand werden linien im immergleichen abstand. der weiße schnee wird zu weißem papier. nicht meine schuhe hinterlassen spuren, sondern ich sehe meine hand die linien füllen, mit tinte. lustig hüpfende, schnörkelige buchstabenreihen. auch beim schreiben fällt es mir schwer, eine gerade linie zu verfolgen.

plötzlich sehe ich mich wieder in der schule, fünfte oder sechste klasse. die strenge deutschlehrerin. sie hatte immer etwas zu mäkeln, immer etwas zu kritisieren. weder meine aufsätze noch meine diktate waren ihr gut genug.

sie hielt an strengen vorgaben und formalien fest, die exakt zu kopieren ich nicht in der lage war. sie war eine sehr deutsche deutschlehrerin.

einmal hat sie mich vor der ganzen klasse runtergeputzt. weil ich meinen text nicht genau auf den linien geschrieben hatte. sie fauchte, dass sie es ja noch verstehen könne, wenn die schrift nicht immer genau an der linie bleibt und man die feder manchmal ein bißchen höher ansetzt. wie es aber sein könne, dass ich mit dem füller "ständig" unter die linie rutsche, das sei ihr völlig unverständlich.

wir sehen: schon als kind war ich nicht linientreu.

nachdem wir das geklärt hätten, wird mir der nächste rebengang leichter fallen.


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