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Sonntag, 9. Mai 2010

tochter aus schlechtem hause

seit wochen, seit monaten schon: ich schleiche um dieses thema herum. es geht mir nicht gut damit. ständig dieser begriff, immer und überall, zu jeder tages- und nachtzeit. im fernsehen im radio in der zeitung im internet: diese wörter, und ich benutze sie hier und heute nur ein einziges mal: sexueller missbrauch. als ob es auch einen angemessenen sexuellen GEbrauch gäbe. wie bei tabletten oder alkohol oder nikotin. als ob die opfer von sexualisierter gewalt, von sexuellem machtmissbrauch auch ein genussmittel seien, wenn man(n) sie nur richtig zu gebrauchen weiß.



es kotzt mich an, und ich kotze zurück. es triggert. mir geht‘s beschissen. auch wenn irgendwo gute absichten dahinterstecken mögen, dass das thema zur zeit in allen medien so rasend präsent ist. gestern ist mixa abgetreten worden. endlich. ich hoffe, dass noch viele weitere folgen werden.

nicht nur kirchenväter. auch all die anderen väter, die leiblichen, die stiefväter, die großväter, die onkelväter. alle sollen sie zurücktreten, wenn sie jemals das menschenrecht auf sexuelle selbstbestimmung eines anderen menschen nicht respektiert haben. ich fordere einen kollektiven rücktritt. am vatertag, vielleicht?

das bild der täter ändert sich. in meiner kindheit und jugend war es angeblich der fremde im park, der nachts ahnungslose frauen und kinder überfiel und im dunkeln hinter die büsche zog. aktuell wird berichtet von vertrauenspersonen, die sich an ihren zöglingen vergehen.

mit den jetzigen aufklärungen rückt endlich - seit kurzem – der sexuelle machtmissbrauch innerhalb der familie und im bekanntenkreis mehr in den mittelpunkt. der ARD monitor  brachte es am 22. april 2010. das habe ich zufällig gesehen [leider ist die sendung in der mediathek der nicht mehr abrufbar].

es ging darin unter anderem um die beschränkung von therapiestunden für die betroffenen. die krankenkasse zahlt nämlich maximal achtzig. ich weiß das. eine frau sagte dazu im film: „das ist, als ob man zu einem nierenkranken patienten sagen würde: nach der achtzigsten dialyse ist endgültig schluss. jetzt muss deine kaputte niere aber auch mal wieder alleine klarkommen.“ danach war mir schlecht.

auf arte gab es dazu in der verganenen woche einen themenabend   – den anzusehen, habe ich mir nicht zugemutet.

als kleines mädchen bin ich immer gewarnt worden vor dem bösen fremden mann, der mit bonbons versucht, mich zu seinem kaninchenstall zu locken, um mir etwas kuscheliges zum streicheln zu zeigen. „geh‘ da auf keinen fall mit“ - das war mutters kategorischer imperativ, bevor sie mich allein auf den schulweg schickte. die mutter war so dumm. so blind.

es ist lange bekannte tatsache, dass die meisten sexuellen straftaten innerhalb des familiären umfelds 'passieren'. aber vorsicht: pfoten weg! tabu! darüber wird nicht gesprochen. der familiäre dreck wird brav unter den eigenen teppich gekehrt.

kaum eine frau, mit der ich jemals über dieses thema gesprochen habe (und es waren viele), hat es geschafft, in ihrem sexuellen selbstbestimmungsrecht unversehrt durch ihr bisheriges leben zu kommen.

die dunkelziffer ist groß. ich bin so eine: ich bin eine dunkelziffer.

mutters warnung ging in die falsche richtung, und sie kam zu spät. als es anfing, konnte ich weder laufen noch sprechen. ich strampelte und schrie um mein leben - das machte alles noch schlimmer: „ja schrei du nur, du bist sooo süß, wenn du wütend wirst“. es half nichts. ich wurde stumm.

es geschah immer wieder, ging über lange jahre, und der stiefvater des vaters starb, als ich fünfzehn war. der oppa war nicht der einzige. ich habe vieles abgespalten, um überleben zu können. heute weiß ich nicht, ob es richtig war, das alles in langen therapiestunden wieder hochzuholen.

als das kleine mädchen sprechen konnte, sagte es zur mutter: „du mama dem papa wächst eine zigarre aus dem bauch“. die mutter wollte nicht hören. „kind, do bess verdötsch. datt jitt et doch jar nit.“ natürlich. ich bin ja nicht richtig im kopf und wurde wieder stumm.

heute weiß man, dass jede zelle eines menschlichen körpers sich innerhalb von sieben jahren erneuert. es hat also nicht eine einzige meiner aktuellen körperzellen das alles jemals persönlich miterlebt. trotzdem werde ich diesen ekligen geschmack im mund einfach nicht mehr los.

mit anfang dreißig, als ich mich an einiges wieder erinnerte, berichtete ich der mutter davon. sie wollte alles nicht glauben und weinte bitterlich, weil sie so eine missratene tochter hat, die ihrer familie so schreckliche dinge vorwirft. da rief die schwester mich an und fauchte: „wie kannst du meiner mutter das antun?!“ ich ertrug es nicht, mich von der „familie“ ganz zu lösen und wurde wieder stumm.

vor knapp zwei jahren habe ich mit der mutter einen letzten versuch gestartet. sie schaltete einfach ihre hörgeräte ab: „wieso kommst du denn nach all den jahren immer noch mit den alten geschichten. das ist doch alles schon so lange her. ich weiß gar nicht, was du willst. wir haben dich doch eigentlich nicht verprügelt und satt zu essen hattest du auch immer.“

da habe ich es nicht mehr ausgehalten und den ohnehin spärlichen kontakt zur familie endgültig abgebrochen. damit habe ich nach außen deutlich gemacht, was ich mit dem herzen schon als kind gespürt habe: vater und mutter beschützen mich nicht. ich bin ein emotionales waisenkind.

heute ist muttertag. ich bin sehr traurig und sehr wütend. alles zugleich. ich hätte gerne eine frau in meinem leben gehabt, die die bezeichnung ‚mutter‘ verdient.


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