Achtung. Achtung. Achtung.
Wir sind umgezogen!

Januar 2021

Das Büro für besondere Maßnahmen ist ab sofort erreichbar auf mojour.de

Nach und nach werden alte Beiträge – ggf. aktualisiert und überarbeitet – dorthin umziehen. Bitte folgen ... :-)

Samstag, 6. Februar 2010

intelligenzbestie

„do bess ene intelijenzbestije!“ noch heute höre ich die mutter fauchen, wenn ich mit unschlagbarer logik eines ihrer fadenscheinigen argumente widerlegt oder ihre autoritären anweisungen blitzgescheit als pädagogisch wertlos entlarvt hatte.



sie war sauer auf mich. meine intelligenz passte ihr nicht ins konzept. intelligent sein bedeutete für mich, nicht liebenswert sein. die mutter empfand meine klugheit als bedrohung. bei mir zu hause war das so. also wurde ich dafür geschimpft. oder man machte sich darüber lustig. die unterschwellige botschaft war: „sei eine andere!“ genauso hätte sie von mir verlangen können, nicht immer so grüne augen zu haben, sondern besser blaue.

schrieb ich mit meiner intelligenzbestie hingegen gute noten in der schule, dann war ihr das ganz recht. nicht, dass der inhalt meiner klassenarbeiten sie irgendwie interessiert hätte. aber dann konnte sie sich brüsten vor ihren freundinnen, weil sie so eine schlaue tochter hatte: „die intelligenz hat sie natürlich von mir.“

die mutter lebte das, was ich einen ‚verlängerten narzissmus‘ nenne. sie fühlt sich nur dann als ‚gute mutter‘ wenn ihre tochter erfolgreich ist. es ist, als hätte sie kein eigenes selbstwertgefühl. wenn es mir nicht gut geht, dann geht es ihr schlecht. was dann früher öfter mal dazu geführt hat, dass – wenn ich ihr am telefon von einem meiner (geringeren) probleme erzählte - sie laut seufzte und anfing zu weinen. was dann wiederum mich in die schreckliche situation brachte, nicht nur mit meinem eigenen problem fertig zu werden, sondern auch noch die mutter zu trösten, dass ich überhaupt ein problem hatte.

irgendwann habe ich aufgehört, ihr irgend etwas für mich wirklich wichtiges von mir zu erzählen.

erzählt habe ich dann nur noch erfolgserlebnisse, da konnte sie was mit anfangen. damit brüstete sie sich wiederum vor ihren freundinnen und fühlte sich wohl, weil sie sich für eine gute mutter halten konnte, die eine erfolgreiche tochter produziert hat.

leider übersah sie dabei völlig, dass – trotz meiner ‚intelligenz‘ ich auch immer viel zeit mit lernen und experimentieren und lesen und neugierig alles mögliche herausfinden verbrachte. sehr viel zeit, um genau zu sein. statt dessen berichtete die mutter ihrem entzückenden damenkränzchen entzückt, dass mir ja immer alles zuflöge und unglaublich leicht fiele.

mich hat sie übrigens nie gelobt für meine guten noten. statt dessen gab es einen zuverdienst zum mageren taschengeld: zwei mark für eine eins, eine mark für eine zwei und fünfzig pfennig für eine drei lagen wortlos auf dem küchentisch neben dem von der erziehungsberechtigen unterschriebenen klassenarbeitsheft.

im allgemeinen lagen bei mir ein- und zwei-markstücke. das mit den silberlingen hatten sie nur eingeführt, damit die schwester - die mit ihren noten weniger glück hatte als ich - nicht völlig verarmte. als ich einmal eine zwei-minus nach hause brachte – das war ein ausrutscher in latein - hieß es „das ist doch nicht so schlimm.“

meine guten noten hielt ich tatsächlich immer nur für glück. nie war ich mir der qualität meiner leistung sicher. wie sollte ich auch. die mutter war ja davon überzeugt, dass mir immer alles ‚zuflog‘. niemals war eine eins in mathe das resultat meiner guten vorbereitung. was also, wenn das zufällige talent einfach mal zufällig an mir vorbeiflöge? ich verbrachte nächtelange alpträume damit, eine fünf oder sechs nach der anderen zu schreiben und war jedes mal aufs neue überrascht über eine gute note im richtigen leben. gleichzeitig fühlte ich mich wie eine betrügerin, die eine solche gar nicht verdient hatte.

für die guten leistungen wurde ich zwar in der schule durchaus gelobt – das war dann allerdings eine eher ambivalente angelegenheit. ich wurde mehrmals zur klassensprecherin gewählt mit der begründung, dass ich es mir schließlich leisten könne, auch mal kritik zu üben, weil die lehrerinnen mich wegen meiner guten noten mochten und mich nicht sitzenbleiben lassen konnten, weil ich dafür zu gut war.

klassensprecherin sein war ein undankbarer job. ich mochte das nicht. wegen meiner guten noten war ich auch immer eine beliebte nachbarin in klassenarbeiten oder zum abschreiben der hausaufgaben vor der stunde.

freundinnen hatte ich hingegen wenige. den klassenkameradinnen waren meine guten noten suspekt. ich war nicht nur praktische intelligenzbestie zum abschreiben und um der strengen klassenlehrerin mal die meinung zu sagen, sondern gleichzeitig auch mit dem label ‚streberin‘ versehen. zwangsläufig. denn wer gute noten hat, muss ja streberin sein. das tat weh. ich versuchte, absichtlich fehler einzubauen. das schadete meinen gesamtnoten nicht. statt dessen waren diejenigen sauer, die dann versehentlich die fehler von mir abschrieben. sie fühlten sich von mir hereingelegt.

irgendwann mit fünfzehn oder sechzehn wollte ich wissen, was tatsächlich dran war an den sticheleien. denn ich schämte mich für meine guten noten. ich machte einen langen, komplizierten intelligenztest. heimlich. mit einem buch, das ich mir aus der psychologieabteilung der stadtbücherei ausgeliehen hatte. ich hielt mich genau an die anweisungen. mit stoppuhr. schummelte nicht. nahm mir eher weniger zeit, als erlaubt war zum lösen der aufgaben. 136. intelligenzbestie. tatsächlich.


// cut //


vor gut zwei jahren wollte ich es noch einmal ganz genau wissen: war mein testergebnis von damals richtig? immerhin lag mein sicher stümperhafter selbsttest schon mehr als 30 jahre zurück. nimmt die intelligenz mit dem alter ab? in den wechseljahren? oder hatte ich mir gar den einen oder anderen bunten punkt in der zwischenzeit versoffen? erholt sich das gehirn bei längerer abstinenz?

also machte ich einen ‚offiziellen‘ intelligenztest. beim club der superschlauen. mein ergebnis lag ein stück über dem von damals: hochbegabt. mein krauser kopf ist bestens mensatauglich.

hilft es mir, das zu wissen? schwer zu sagen. dieses ergebnis beantwortet noch lange nicht all meine fragen. aber es erklärt ein bißchen, warum mir zum beispiel das lernen von sprachen nicht nur spaß macht, sondern auch immer sehr leicht fiel.

ob ich jetzt eingebildet werde und arrogant? klar. im sinne von ‚selbst-bewusst-sein‘, weil ich mir meiner selbst und meiner fähigkeiten noch ein bißchen mehr bewusst bin.

stolz drauf? nicht wirklich. intelligenz ist eine anlage, wie grüne oder blaue augen. ich kann es nicht ändern, und ich kann es auch nicht einfach abstellen. obwohl ich das manchmal sehr gerne möchte. das denken abstellen. zur erholung des kopfes. auf einem iq von 84 gemütlich dahindümpeln. hang loose.

es ist wie es ist. es ist nicht immer nur gut, nicht immer nur schön, nicht immer nur ein vorteil, erst recht nicht für eine frau. auch eine garantie für erfolg im leben ist ein hoher IQ ganz sicher nicht. dazu ein ander mal mehr.


--------

Related Posts Plugin for WordPress, Blogger...