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Donnerstag, 19. November 2009

wortgeplänkel I - zeit

„eine zeitlang“, diesen ausdruck benutzte ich neulich einmal in einem anderen zusammenhang.

„täglich eine zeitlang“, so schrieb ich, „tue ich dieses oder jenes“ – und dann habe ich den begriff auch noch gesteigert bzw. geradezu verdoppelt, indem ich behauptete, ich täte dieses oder jenes manchmal sogar „zwei zeiten lang“.

gerade so, als ob ich wüßte, wie lang eine zeit sei, oder gar so als ob ich die alleingültige formel erfunden hätte, was die zeit ist.



du dummchen, wird jetzt jemand dazwischenrufen, das brauchst du gar nicht erst erfinden, das hat doch längst jemand anders erledigt, samt nobelpreis dafür gekriegt! seither messen wir die zeit in sekunden, minuten, stunden, tagen, wochen, monaten und jahren. und damit man immer weiß, wie spät es ist, hat der mensch eine uhr.

aha. natürlich habe auch ich eine uhr – mehrere sogar. und meistens weiß auch ich ziemlich genau, wie spät es ist. denn nur noch ganz wenige uhren gehen nach der wiener wasserleitung (meine blaue badezimmeruhr, zum beispiel).

uhren gehen neuerdings (um zeitgenau zu sein, seit 1978) nach der atomuhr. die deutsche atomzeit wird hergestellt vom physikalisch-technischen-bundesamt in braunschweig. damit die dort im ptb keine unzeiten herstellen, gibt es ein bundesdeutsches zeitgesetz.

das zeitgesetz regelt die gesetzliche zeit. es macht die zeit allerdings nicht selbst, es verwaltet sie bloß – auf dass der amtsschimmel immer pünktlich dahergeritten komme.

damit die leute sich nicht ständig verpassen - egal ob sie gesetzliches mit ihrer zeit tun oder nicht - wird die gesetzliche zeit mehr oder weniger regelmäßig und zeitgleich in den medien verkündet.

aber nicht in allen ganz genau, sondern bloß im fernsehen und im radio. ausgerechnet in dem medium aber, das nach der zeit benannt wurde - nämlich der zeitung - wird die zeit nicht ganz genau verkündet, sondern eher vage. am ungenauesten ist die geschriebene zeit, also die zeitangabe, die man aus zeit-schriften erfährt.

früher hatten wir noch die zeitansage im telefon, erinnert ihr euch? die gibt es heute auch noch, aber nicht mehr unter der nummer 119. als kind war ich davon völlig fasziniert und habe der netten dame vom amt mit ihrem piep sehr oft und sehr lange zugehört.

aber selbst, wenn die heutige computerstimme mit sinuston mir noch so genau sagen kann, wie spät es ist – damit weiß ich doch immer noch nicht, wie lang 'eine zeit lang' ist.

ist eine zeit so lang wie das ticken des weckers braucht, um die zeit in scheiben zu hacken?

oder ist eine zeit so lang wie der kuckuck in der nachbarswohnung benötigt, um sich dröhnend aus seinem uhrenkästchen herauszukatapultieren und mir mit metallischem ruf meinen mittagschlaf zu zerstören?

woher weiß ich, wenn meine freundin erzählt, sie sei eine zeit lang verheiratet gewesen, wie lang ihre zeit war?

ist ihre verheiratete zeit genau so lang wie meine, wenn ich sage 'ich bin schon eine ganze zeit lang single'?

ist 'eine ganze zeit lang' mehr als 'eine (einfache) zeit lang'? es hört und fühlt sich irgendwie so an – obwohl doch eins schon ein ganzes ist und kein kaputtes bruchstück …. oder irre ich mich?

spannend finde ich auch, dass zeit als kostbar gilt, obwohl sie doch von niemandem hergestellt wird – man sie also eigentlich auch nicht verkaufen kann.

die menschen verkaufen ihre zeit aber doch, gegen jede logik! zeit ist geld, sagen sie dann, werden ganz hektisch und haben überhaupt gar keine zeit mehr.

seltsam ist auch, dass die zeit verschiedener menschen unterschiedlich viel wert ist. frauenzeit zum beispiel ist weniger wertvoll als männerzeit. durchschnittlich gesehen. das weiß man nicht erst, seitdem die neuesten statistiken mal wieder beweisen, dass frauen nicht nur in unserem land ein fünftel bis ein drittel weniger geld für ihre arbeit erhalten als männer.

aber wieso? jeder mensch hat täglich die gleichen vierundzwanzig stunden zeit, um sein leben zu leben und um alles zu tun, was gut und wichtig ist. frauen haben nicht mehr zeit als männer. warum sollen wir mehr lebenszeit investieren, um denselben lohn zu erhalten?

das verstehe ich nicht. noch weniger aber kann ich verstehen, dass nicht nur arbeitszeit mit geld bezahlt wird.

gerade heute erst las ich in unserem ländlichen jedewoche-kostenlosimbriefkasten-anzeigenkäseblatt eine stellenanzeige, in der ein/e „freizeitverkäufer/in“ gesucht wird.

ja wie jetzt? soll ich nicht nur meine arbeitszeit, sondern auch noch meine freizeit verkaufen? auch das noch? ist freizeit dann mehr wert als arbeitszeit oder weniger? wie lang ist überhaupt eine freizeit, wenn ich sie verkaufe?

wenn ich eine zeit lang meine freizeit verkaufe: was passiert mit der nicht verkauften arbeitszeit? und vergeht die zeit dann doppelt so schnell? schnell vergeht die zeit doch sowieso, egal ob ich sie verkaufe oder nicht!

denn während ich hier eine zeit lang über die zeit schrieb, ist es draußen schon dunkel geworden – und wie lang meine zeit lang ist, weiß ich immer noch nicht.


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